Im Gustav-Siegle-Haus endet diese Woche eine Ausstellung des Kunstbezirks Stuttgart. „Grün“ versammelt sieben künstlerische Positionen zum Zeitalter des Anthropozäns.

Eine Ausstellung in Stuttgart mutet an wie ein Reflex zur aktuellen Präsentation „1,5 Grad“ in der Kunsthalle Mannheim. Am Freitag um 19 Uhr ist Finissage, bis dorthin bleibt täglich von 15 bis 19 Gelegenheit für einen Besuch in Gustav-Siegle-Haus beim Kunstbezirk Stuttgart.

 

Die Kuratorin Dr. Beate Susanne Wehr hat sieben Künstlerinnen — vier aus Wien, drei aus dem Stuttgarter Raum — rund um den Ausstellungstitel „Grün“ versammelt. Doch spielt der Titel auf weit mehr an als die Farbe — er steht als Generalmetapher „stellvertretend für die Natur und deren hochgradige Zerbrechlichkeit im Erdzeitalter des Anthropozäns“, sagt Wehr. „Hierzu werden sieben künstlerische Positionen formuliert“: von Theres Cassini, Eva Kern, Simona Koch und Christiane Spatt (alle Wien), von Susanna Messerschmidt und Gertraut Ellinger (Stuttgart) sowie Birgit Rehfeldt (Ostfildern). Einige der Werke wurden eigens für die Ausstellung verwirklicht.

Der Handlungsdruck wächst

Ein Werk älteren Datums zum „Earth Overshoot Day“ stammt von Theres Cassini — und es gewinnt paradoxerweise gerade durch sein Alter an Aktualität: Ende der 90er Jahre bereits hat sie drei dieser Jahrestage, an dem die Menschen die ihnen für das Jahr zustehenden Ressourcen gänzlich aufgebraucht haben, dokumentiert, indem sie auf Eis gelegte Pflanzenteile aufgetaut, fotografiert und in einer Art Triptychon hinter Glas gelegt und datiert hat. Der erschreckende Connex zur Gegenwart: Wie eine dahinschmelzende Gletscherzunge ist der Tag im Jahr nach vorne galoppiert. Fiel er 1997 noch auf den 17. Oktober, so tritt er dieses Jahr bereits am 2. August ein. Die Zeit drängt, scheint uns dieses Triptychon der eingefrorenen Momente zuzurufen, der Handlungsdruck wächst.

Das Insektensterben ist wie im Poesiealbum bereits Geschichte

Durch kluge Anordnungen gelingt es der Kuratorin, die Werke in Schwingungen zueinander zu versetzen und den menschengemachten Verlust der Artenvielfalt, den Raubbau an Böden und Ressourcen umso eindrücklicher in Szene zu setzen. Die Fotokünstlerin Eva Kern zum Beispiel arrangiert objects trouvés wie einen Baumpilz oder Blütenblätter von Hortensien zu hoch artifiziellen fotografischen Stillleben — natures mortes. Ihnen gegenüber hängen Fotografien von Christiane Spatt. An aufgespießte Schmetterlinge legt sie Hand an, setzt deren Flügel in Brand und hält vor dem Hintergrund gemusterter Tapeten diesen letzten aufflackernden Moment der endgültigen Auslöschung fest. Dieses Memento mori näht sie wie unter einem Brennglas in das Passepartout des entsprechend verkleinerten Tapetenmusters hinein. Auf diese Weise vollzieht sich das Insektensterben vor unseren Augen in erschreckender Nüchternheit, beinahe wie auf den Seiten eines Poesiealbums. Von ähnlicher Eindrücklichkeit: die mit Latex überzogenen Trockenpflanzen von Susanna Messerschmidt. Die hängen in künstlich grünen Gummiüberzügen kopfüber von der Decke über einem kreisrunden Feld von Wüstensand. „Heisszeit“ nennt sich dieses Werk, das den austrocknenden Landstrichen und ausgedörrten Flussbetten gewidmet sein könnte — den Landschaften nach ihrer Ausschlachtung durch den Menschen — oder eben dem Menschen des Anthropozäns selbst in den Hinterlassenschaften einer geköpften, hingerichteten, plastifizierten und mumifizieren Welt.

Überlebenskünstler unter Glas und Städte wie aus dem Auenland

Beinahe etwas Tröstliches haben da am Ende die virtuell wiederbegrünten Städte von Simona Koch. Weltberühmte Bauwerke erscheinen in einem Auenland, das alles Asphaltgrau hinter sich gelassen hat. Oder das 2023 für die Ausstellung zusammengetragene und aufgetürmte „Mooslabor“ von Theres Cassini. Unter Glaskugeln werden diese stillen wunderbaren Überlebenskünstler noch die Risse und Schrunden auspolstern, die das Zeitalter des Anthropozäns unwiderruflich bereits gerissen hat.

„Grün“, Gustav-Siegle-Haus Stuttgart, Leonhardsplatz 28, U-Bahn-Haltestelle Rathaus