Die Ärzte kämpfen weiter um das Leben des Rennfahrers Jules Bianchi, der in Suzuka schwer verunglückt ist. Gleichzeitig wird nach den Ursachen des Unfalls geforscht. Bianchis Kollege Felippe Massa kritisiert als erster Fahrer die Rennleitung: „Es war gefährlich.“

Suzuka - Der Taifun ist vorbeigezogen, die Formel-1-Karawane schon auf dem Weg nach Sotschi. Aber es ist eine Reise ins Ungewisse, denn im Mie General Hospital kämpft der französische Rennfahrer Jules Bianchi – angeblich nach einer zweiten Kopfoperation in der Nacht – weiter um sein Leben. Der Abbruch des Großen Preises von Japan nach dem schwersten Formel-1-Unfall, seit der Brasilianer Felipe Massa 2009 von einer Metallfeder getroffen wurde, zeigt jenen so oft verdrängten schmalen Grat zwischen Leben und Tod in diesem Sport. Bei Witterungs- und Sichtbedingungen wie am Sonntag auf dem Suzuka International Circuit ist dieser jedoch bloß noch eine dünne Linie.

 

Eine falsche Lenkbewegung, eine große Pfütze, eine Unaufmerksamkeit, ein paar Stundenkilometer zu viel, und schon kann es passieren. Was genau dazu führte, dass der Marussia-Rennwagen in einen Bergungskran schleuderte, beschäftigt die Rennfahrer wie die Experten. Es ändert nichts an dem kritischen Gesundheitszustand des 25-Jährigen, aber in einer technischen Disziplin wie der Formel 1 ist die Erklärbarkeit der Dinge auch mental wichtig.

Felipe Massa: „Es war gefährlich.“

Nur das Wissen, was geschehen ist, lässt die anderen Piloten in ihrem Tun weitermachen. Alles andere sind jene quälenden Gedanken, die Sebastian Vettel am Abend des Geschehens äußerte. Felipe Massa war einer der ersten Besucher im Krankenhaus, und der Brasilianer ist auch der Erste, der die Rennleitung offen kritisiert: „Es war gefährlich. Für mich haben sie zu lange gewartet mit ihrer Entscheidung. Meiner Meinung nach haben wir das Rennen zu früh gestartet und zu spät beendet.“

Das ist die große Frage: Hätte wegen der einbrechenden Dämmerung und dem stärker werdenden Regen das Safety-Car schon mit Beginn der Bergungsarbeiten an Adrian Sutils Sauber-Rennwagen in der Runde zuvor rausgeschickt werden müssen? Allein die Ankündigung „SC“ hätte wohl sofort deutlich mehr Tempo herausgenommen als die doppelt geschwenkten Flaggen.

Auswertung der Telemetriedaten

Ob Bianchi mehr Schwung für die folgende Bergaufpassage mitnehmen wollte, wird die Auswertung der Telemetriedaten zeigen, die auch jeden Gas- und Bremspedaldruck aufzeichnen. Im Trockenen wird der lange Linksbogen mit Tempo 190 gefahren, im Nassen sind es nur zehn Stundenkilometer weniger – wer aber vom Gas geht, müsste 30 Stundenkilometer langsamer sein. Laut „Auto, Motor und Sport“ haben Beobachter jedoch nicht erkennen können, dass Bianchi spürbar reduziert hatte, als das Heck ausbrach.

Das Verhalten der Fahrer an Unfallstellen wird sicher beim Briefing am Freitag in Sotschi zum Thema werden, während die Techniker des Automobilverbandes Fia wohl ihre Pläne für Cockpitkanzeln oder Überrollkäfige hervorholen werden. Fatal war, dass Bianchis Auto quer durch das Kiesbett schlitterte und kaum an Tempo verlor und sich so mit voller Wucht unter den Traktor bohrte – eine brutale Verzögerung runter auf null, bei der offenbar auch der Überrollbügel abgerissen wurde. Durch die heftige Erschütterung fiel Sutils Rennwagen sogar wieder vom Kranhaken.

Voreilige Schlüsse vermeiden

Der Österreicher Alexander Wurz wurde erst an diesem Wochenende zum neuen Sprecher der Fahrergewerkschaft GPDA gewählt, der Ex-Formel-1-Pilot und Fahrercoach des Williams-Teams ist vorsichtig mit Vorwürfen: „Die Fia hat im Laufe der Jahre immer die Sicherheit als wichtigste Aufgabe gesehen. Dass es immer noch besser werden kann, wird uns in solchen Situationen wie jetzt klar. Man darf keine voreiligen Schlüsse ziehen, sondern muss abwarten, bis man alle Fakten zusammenhat.“ Sebastian Vettel bezeichnete die Bedingungen als „grenzwertig“, während andere Fahrer schon schlimmere Regenrennen erlebt hatten, wie sie sagten. Für einen Teil der Piloten sind diese „wet races“ Gelegenheit, ihr Fahrkönnen noch besser demonstrieren zu können. Ein gefährlicher Reiz. „Was ist schon sicher, ist es jemals sicher?“, fragt Kimi Räkkönen.

Alexander Wurz sagt: „Motorsport ist gefährlich und birgt immer ein Restrisiko. Wenn man die Kontrolle verliert, wird man zu einem ballistischen Geschoss – und das ist eine unkontrollierbare Energie.“