Viel Geduld war gefragt im Fotoatelier, das Wilhelm Kienzle 1910 gründete: dort wurde mit einer Holzkamera mit Glasplatten gearbeitet. Eine Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte Waiblingen zeigt, wie die Fotografie sich gewandelt hat.

Waiblingen - Den Kopf auf die Hand gestützt, sitzt Wilhelm Kienzle in einem Lehnstuhl mit üppigen Schnitzereien und schaut ernst in die Kamera. Zu seinen Füßen liegt der Familienhund, auf dem Tisch stehen eine Blumenvase, ein gerahmtes Foto und ein Aschenbecher mit Zigarre. Man könnte meinen, dass Kienzle sich in seinem Wohnzimmer hat ablichten lassen – wäre da nicht die Holzkamera mit Glasplatten im Format eines Koffers in einer Zimmerecke. Und das Fenster mit Ausblick, das sich als Wandmalerei entpuppt.

 

Denn tatsächlich sitzt Wilhelm Kienzle, der sein Handwerk bei einem Hoffotografen in Ludwigsburg erlernte, in seinem neu eingerichteten Atelier in der Waiblinger Blumenstraße. Man schreibt das Jahr 1910 und die Denkerpose, die der Fotograf auf dem Bild einnimmt, diente wohl vor allem dazu, den Kopf für längere Zeit ohne zu wackeln in einer Position halten zu können. Mal eben schnell ein Foto schießen – das war mit der Technik zu Anfang des 20. Jahrhunderts unmöglich.

Spontane Bilder waren unmöglich

Das Bild ist nur eines von vielen aus dem Bestand des Fotogeschäfts, das bis zum heutigen Tag existiert und seit jeher auf Porträtaufnahmen spezialisiert war. Das Haus der Stadtgeschichte zeigt nun unter dem Titel „Das Fotoatelier Kienzle“ eine Auswahl der im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Bilder. Der Anlass dafür sei, dass man mit den Nachkommen Wilhelm Kienzles eine Übernahme von rund 800 erhaltenen Bildern ins Archiv vereinbart habe, sagt Tanja Wolf. Und die, versichert die Leiterin des Stadtarchivs und Stadtmuseums, seien viel zu interessant, als dass man sie einfach ins Archiv legen könne. Die Porträts, die im Laufe vieler Jahrzehnte entstanden sind, zeigen den Wandel anschaulich. „Um 1910 waren keine spontanen Bilder möglich. Der Bürger ließ sich vor einem gemalten Hintergrund und zwischen Möbelstücken ablichten“, sagt Tanja Wolf, „würdevoll und ernst zu gucken, das war damals gefragt.“ Oft stand im Atelier ein Stuhl mit Lehnen, damit die Porträtierten besser stillhalten konnten. Aus dem ersten Fotoatelier Kienzle ist eben solch ein Stuhl erhalten und im Museum ausgestellt, außerdem ein Tisch und die eingangs beschriebene Holzkamera.

Dass Fotoateliers Anfang des 20. Jahrhunderts mit allerlei solcher Kleinmöbel bestückt waren, brachte den geschäftstüchtigen Karl Oppenländer, der seit 1896 in der Fotografenbranche tätig war, auf eine zweite Einnahmequelle: Der gelernte Buchbinder bot einen Einrahmservice für seine Bilder und gründete später eine Fabrik, die unter dem Namen Opal Möbel herstellte.

Die Kamera rückt immer näher ran

Während Porträts Anfang des 20. Jahrhunderts mit viel Abstand aufgenommen wurden, rückten Fotograf und Kamera später immer näher heran. Mal sind noch die Schultern zu sehen, mal nur noch der Kopf – das zeigt eine Reihe ausgewählter Fotos in der Ausstellung. Auch an ausgestellten Kameras lässt sich ablesen, welch gewaltige Veränderungen vor sich gingen: von der Reisekamera mit Holzständer und Glasplatte bis zur letzten analogen Kamera der Firma Canon geht die Zeitreise. Dazwischen stehen in Vitrinen aufgereiht beispielsweise eine zweiäugige Rolleiflex, eine Unterwasserkamera und eine Stereokamera mit zwei Objektiven, die 3 D-Bilder lieferte.

„Uns war wichtig, nicht nur Bilder zu zeigen, sondern auch unter welchen Bedingungen die Fotos entstanden sind“, sagt Tanja Wolf. So steht in der Ausstellung ein Vergrößerungsgerät nebst Belichtungsrahmen, das um die 70 Jahre alt sein dürfte. An der Wand hängt eine rote Lampe – die einzig wahre Beleuchtung für die Dunkelkammer. Chemikalien und flache Schalen fürs Entwickeln, Fixieren und Wässern stehen bereit, daneben liegen Wäscheklammern, mit denen man Fotos zum Trocknen aufhängte. Alles Relikte aus einer Zeit, als Handys mit Kamera undenkbar waren und man angesichts von maximal 36 verfügbaren Bildern pro Film jedes Mal gut überlegte, bevor man auf den Auslöser drückte.

Fotos und ihre Geschichte(n)

Ausstellung: Die Schau „Das Fotoatelier Kienzle“ wird am Donnerstag, 22. Februar, eröffnet. Beginn der Veranstaltung ist um 18 Uhr, Treffpunkt ist das Haus der Stadtgeschichte, Weingärtner Vorstadt 20 in Waiblingen. Die Ausstellung läuft bis zum 3. Juni, der Eintritt ist frei. Geöffnet ist das Waiblinger Stadtmuseum dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Bilderabend: Am Donnerstag, 8. März, gibt es in der Veranstaltungsreihe „Schlaglichter“ von 19 Uhr an einen Bilder- und Erzählabend in der urigen Bohlenstube des Stadtmuseums. Stadtansichten sind das Thema. Zu sehen gibt es Beispiele aus dem Kienzle-Archiv, Gäste sind eingeladen, eigene Fotos mitzubringen.