Seit mehr als einem Jahr gilt in Frankreich das Ausnahmerecht. Die Sicherheitskräfte haben seitdem eine weit reichende Machtvollkommenheit.

Paris - 22.30 Uhr ist es am 14. Juli dieses Jahres, als der zuvor weniger durch religiösen Eifer als durch familiäre Gewalt aufgefallene Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel in einen gemieteten Lastwagen steigt, Gas gibt und in die nach einem Feuerwerk auf Nizzas Uferpromenade versammelte Menschenmenge rast. Die Amokfahrt, die später der „Islamische Staat“ für sich reklamieren soll, endet mit der Erschießung des Fahrers. 86 Tote sind zu beklagen und 434 Verletzte. Die Nation steht unter Schock.

 

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Sie tut es freilich nicht zum ersten Mal. Nach der schweren Erschütterung vom 13. November 2015, als Terrorkommandos in Paris 130 Menschen umbrachten, erleben die Franzosen das Blutbad von Nizza als zerstörerisches Nachbeben. Es bestätigt sie in der traurigen Gewissheit, dass es vor Terror keinen hundertprozentigen Schutz gibt. Die Anschläge auf die Redaktion des Satireblattes „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015 hatten den Eindruck erweckt, bestimmte gesellschaftliche Gruppen seien ins Visier vom „Islamischen Staat“ inspirierter Attentäter geraten – Journalisten, Juden, Polizisten. Solidaritätsdemonstrationen waren die Folge. Im November hatten die Terroristen dann aber nur noch blind gemordet. Ums Leben kam, wer sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt: im Musikklub Bataclan, auf einer der angegriffenen Bistroterrassen. In Nizza war es nicht anders gewesen.

Weitreichende Macht

Eine Untersuchungskommission hat den Behörden der Stadt bescheinigt, die bei Großveranstaltungen in Zeiten des Terrors üblichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Fatalismus breitet sich seither aus, verstärkt noch dadurch, dass die Politik im Kampf gegen den Terror nicht mehr viel zuzulegen hat. Der im November 2015 verhängte Ausnahmezustand, er galt in Nizza und er gilt noch immer. Bis Juli nächsten Jahres ist er Mitte Dezember verlängert worden. Dank des Ausnahmerechts erfreuen sich die Sicherheitskräfte weitreichender Machtvollkommenheit. So können sie etwa ohne richterliche Genehmigung Durchsuchungen vornehmen, Hausarrest verhängen oder öffentliche Kundgebungen verbieten.

Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm, beklagen schwerwiegende Eingriffe in Bürger- und Freiheitsrechte. Die überwältigende Mehrheit der Franzosen hingegen applaudiert. Sie sucht Schutz bei der Staatsgewalt, nicht vor der Staatsgewalt. Spielraum tat sich nach dem Terroranschlag von Nizza immerhin noch bei den Sicherheitskräften auf. Die Einheiten wurden weiter aufgestockt. Zu 10 000 im Anti-Terror-Kampf eingesetzten Soldaten können im Ernstfall nun täglich bis zu 4000 Reserve-Gendarmen stoßen. Auch hat Staatschef Francois Hollande eine Nationalgarde ins Leben gerufen. Bis 2019 soll eine 84 000 Mitglieder zählende Bürgerwehr die professionellen Sicherheitskräfte entlasten, die sich damit künftig stärker auf die Terrorabwehr konzentrieren können.

Viele Absagen

Verlässlichen Schutz vor Attentaten verheißt das alles freilich nicht. Ob Feuerwerksfete, Flohmarkt oder Open-Air-Konzert, so manche Großveranstaltung wird mit Verweis auf Anschlagsgefahren abgesagt. Andere wiederum finden statt nach dem Motto: Jetzt erst recht, wir lassen uns von Terroristen doch nicht einschüchtern. Derweil mehren sich die Rufe nach staatlicher Autorität, wenn nicht gar nach dem starken Mann. Laut einer Umfrage hätten mehr als 50 Prozent der Franzosen nichts gegen „einen starken Mann, der weder auf Parlament noch auf Wahlen Rücksicht nehmen muss“; 26 Prozent wünschen einen solchen Bruch mit den demokratischen Traditionen des Landes gar ohne jeden Vorbehalt. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-terroranschlag-in-frankreich-hoechste -sicherheitsstufe-ausgerufen.c3d7c7fb-1255-4e13-897f-b29b5da18e86.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.frankreich-wenn-terror-den-tourismus-trifft .bfff7057-9984-4b31-ba2d-ebcc43f4c895.html