Rudi Völler möchte als Interimscoach in Dortmund gegen Frankreich einen Stimmungsumschwung hinbekommen. Doch die Nationalmannschaft braucht mehr als eine Übergangslösung.

Es war schon früher so, dass Rudi Völler seinem Näschen vertraute. Wenn der Mittelstürmer mit wehenden Locken in die Gasse startete, um den Ball nach einem Vollsprint im Tor zu versenken, folgte der gebürtige Hanauer meist seinem Instinkt. Und der hat ihn offenbar auch bei der Reaktivierung als Trainer nicht verlassen: Dass sich der für das Länderspiel gegen Frankreich an diesem Dienstag (21 Uhr/ARD) noch einmal als Teamchef einspringende Völler am Montag für eine Busfahrt nach Dortmund entschied, war goldrichtig. Denn der angedachte ICE für die Weiterreise hat – das ist kein Witz – den Halt in Wolfsburg mal wieder ausgelassen.

 

Wer sich noch einmal vergegenwärtigt, wie in der Autostadt bei der Einwechslung der ewige Thomas Müller gefeiert wurde – als Günstling des Publikums fast ein Völler 2.0 –, der kann erahnen, dass ein Menschenfänger auf der Trainerbank helfen wird, einen Stimmungsumschwung herbeizuführen. Damit endlich mal wieder positive Energie von den Rängen auf den Rasen schwappt.

Völler muss leblose Geister wecken

Und vielleicht ist der deutschen Nationalmannschaft dann ja auch das Spielglück wieder hold. „Die Jungs können es ja auch, sie kommen alle aus Topclubs“, sagt Völler. Seine erste Aufgabe muss sein, gegen den Vizeweltmeister Frankreich leblose Geister zu wecken.

Insofern besteht nach der Trennung von Hansi Flick die Chance, endlich mal wieder als Mannschaft wahrgenommen zu werden, in der einer für den anderen arbeitet. Da war unter Hansi Flick zuletzt oft nur Alibihaftes zu sehen. Da auch dessen Assistenten Danny Röhl und Marcus Sorg Geschichte sind, helfen der künftige Nachwuchschef und U-20-Nationaltrainer Hannes Wolf sowie dessen Assistent Sandro Wagner dem Volkstribun Völler in Dortmund beim Coaching für eine Sommernacht.

Niemand sollte erwarten, dass sich die Menschen in den Armen liegen wie bei seinem Einstand als Teamchef am 16. August 2000, als das Niedersachsenstadion von Hannover nach einem Kantersieg gegen Spanien (4:1) unentwegt „Ruuuudi“ rief. Spaniens Mittelfeldstar Raúl sollte damals sagen: „Er hat den Deutschen wieder Leben eingehaucht.“ Vier Jahre hielt die Liaison, doch nun ist es ganz egal, wie viele Herzen „Tante Käthe“ an einem von Fußballromantik triefenden Standort wie Dortmund auch zufliegen: Dass der 63-Jährige länger bleibt, gilt als ausgeschlossen. Das sieht seine Lebensplanung nicht vor; das planen auch die DFB-Gremien nicht. Da der Verband „zeitnah“ eine Lösung präsentieren will und die nicht unumstrittene USA-Reise für den Oktober bereits durchgeplant hat, braucht es also zügig den zwölften Bundestrainer in der mehr als 100-jährigen DFB-Geschichte.

Es gibt eine Vielzahl guter Gründe, dass Übergangslösungen mit Rettercharakter nicht weiterhelfen. Es braucht einen, der perspektivisch denkt. Die von Ligachef Hans-Joachim Watzke über seine Dortmunder Verbundenheit verfolgte Idee, erst den BVB-Berater Matthias Sammer bis zur Heim-EM machen zu lassen und dann vielleicht ernsthaft Jürgen Klopp überzeugen zu können, hat zwei Haken: Der „Feuerkopf“ Sammer ist seit fast zwei Jahrzehnten raus aus dem Trainergeschäft, und der „Kumpel“ Klopp immer noch bis 2026 an seinen Herzensverein FC Liverpool gebunden. Der DFB wird auch nicht über Horst Hrubesch nachdenken: Solche Lösungen sind von vorgestern.

Die Spur führt zu Julian Nagelsmann

Also führt eine logische Spur zum derzeit noch vom FC Bayern bezahlten Julian Nagelsmann. Frisch, frech, intelligent, schlagfertig – und fachkundig sowieso. Nach toller Arbeit bei der TSG Hoffenheim und RB Leipzig verhob er sich aber an der Herkulesaufgabe beim FC Bayern München – trotz aller Begabung. Nagelsmann reagierte am Ende dünnhäutig, gereizt, wenig souverän. Sein Alter sollte gleichwohl keine Hemmnis sein. Wenn der 36-Jährige die richtigen Lehren aus seinen in München erworbenen Erfahrungen zieht, wenn er beim Gehalt einige Abstriche macht und vor allem die Münchner dem finanziell gebeutelten DFB bei der Ablöse entgegenkommen, dann dürfte mit Nagelsmann ernsthaft geredet werden, zumal der als erster Kandidat gehandelte Roger Schmidt bei Benfica Lissabon nicht so leicht aussteigen kann.

Gibt es einen Flick-Nachfolger aus dem Ausland?

Gut möglich wäre auch, wenn bei einer Nagelsmann-Absage der Blick nicht nur auf den deutschen Markt verengt wird. Der knorrige Niederländer Louis van Gaal, mit 72 Jahren eigentlich im Ruhestand, oder der lebensfrohe Österreicher Oliver Glasner, derzeit noch vereinslos, haben bewiesen, dass sie mit deutschen Teams Titel gewinnen können. Belgien unter Domenico Tedesco, Österreich mit dem nach eigenem Bekunden jetzt „nicht zur Verfügung“ stehenden Ralf Rangnick und auch die Türkei mit dem nicht unumstrittenen Stefan Kuntz haben Kurs auf die EM-Endrunde in Deutschland genommen. Hierzulande war der Rauswurf eines Bundestrainers ein Novum. Der erste Ausländer auf diesem Posten wäre es auch. Aber irgendwann ist es halt das erste Mal. Das wird auch ein Rudi Völler bestätigen.