Die G20-Staaten einigen sich auf Schritte zur weltweiten Pandemiebekämpfung. Angela Merkel und Olaf Scholz kündigen auch intensivere Corona-Maßnahmen in Deutschland an.

Rom - Die Ungleichheit beim Zugang zu Impfstoffen könnte nicht größer sein: In den klassischen Industrienationen haben rund 70 Prozent der Menschen zumindest eine Spritze bekommen, während es in den ärmsten Staaten der Welt gerade einmal 2,8 Prozent sind. Dementsprechend fallen auch die nationale und die internationale Debatte, der sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr designierter Nachfolger Olaf Scholz (SPD) beim G20-Gipfel in Rom gleichermaßen stellen mussten, sehr weit auseinander. Weltweit geht es um die Erst-, zuhause unter anderem um die Drittimpfung.

 

„Der Anstieg ist im Augenblick aus meiner Sicht schon sehr besorgniserregend“, sagte Merkel am Sonntagnachmittag in Rom mit Blick auf die aktuellen Fallzahlen in Deutschland und die vom Robert-Koch-Institut gemeldete Sieben-Tages-Inzidenz von fast 150, „deshalb kann es sein, dass man noch handeln muss.“ Sie wolle das auch „nicht von der Bildung einer neuen Regierung anhängig machen“. Die geschäftsführende wie die künftige Regierung seien trotz der Phase des politischen Übergangs vereint in dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Merkel will strengere 3G-Kontrollen

Als eines der wichtigsten Ziele will Merkel in Gesprächen mit den Bundesländern erreichen, dass die Verwaltungen die beschlossenen 2G- und 3G-Konzepte, wonach nur Geimpfte, Genesene oder Getestete bestimmte Angebote wie etwa Restaurantbesuche wahrnehmen dürfen. „Maßnahmen, die eingesetzt werden vor Ort in den Kreisen und in den Ländern müssen ab und an auch kontrolliert werden“, so Merkel, „damit die Menschen merken, dass es ernst gemeint ist.“

Die Drittimpfung, auch „Booster-Impfung“ genannt, wollen sowohl der amtierende Vizekanzler und mutmaßlich künftige Kanzler Scholz wie auch die nur noch geschäftsführend amtierende Kanzlerin Merkel vorantreiben. „Wir werden sprechen, auf welcher Ebene auch immer“, sagte sie zur Forderung ihres Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) nach einem „Booster-Gipfel“ von Bund und Ländern noch in dieser Woche. Scholz forderte „eine große gemeinsame Anstrengung“, um gerade den besonders Schutzbedürftigen etwa in den Altenheimen schnell eine Drittimpfung zukommen zu lassen – dafür müsse Spahn mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern schnell die Voraussetzungen schaffen.

Merkel stellte angesichts der im Überfluss vorhandenen Impfstoffe klar: „Es ist niemand daran gehindert, jetzt die Boosterimpfung zu machen.“ Zwar gebe es bisher von der Ständigen Impfkommission nur eine Empfehlung für Menschen, die den 70. Geburtstag hinter sich haben – die Drittimpfung sei aber auch „möglich für jeden anderen“. Sollten die Länder etwa bei der Wiedereröffnung von Impfzentren Unterstützung benötigen, dann, so Merkel, „wird sich der Bund überhaupt nicht verweigern“.

Impfstoff-Überfluss in Deutschland

Die Kanzlerin hält es also für möglich, in Deutschland eine weitere Impfkampagne zu starten – und trotzdem die internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Insgesamt 100 Millionen Impfdosen will die Bundesrepublik der globalen Impfinitiative Covax in diesem Jahr zur Verfügung stellen. Internationale Hilfsorganisationen kritisieren dennoch, dass darunter das internationale Engagement leiden wird – zumal der G20-Gipfel nicht die von ihnen geforderte Aussetzung des Patentschutzes gebracht hat, der zumindest in der Theorie überall die Impfstoffproduktion ermöglichen würde.

Fortschritte hat es diesbezüglich dennoch gegeben. In der „Erklärung von Rom“, dem G20-Abschlussdokument, stellen sich die größten Industrie- und Schwellenländer hinter das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, in allen Ländern der Welt bis Ende diesen Jahres mindestens 40 Prozent der Menschen eine erste Impfung zukommen zu lassen und bis Mitte nächsten Jahres 70 Prozent. „Wir werden unsere Anstrengungen erhöhen, einen schnellen, fairen und weltweiten Zugang zu sicheren, erschwinglichen, guten und effektiven Impfstoffen sicherzustellen“, lautet der zentrale Satz.

Erreicht werden soll das unter Beibehaltung des Patentschutzes dadurch, dass Hilfe bei der Finanzierung wie auch der teils komplizierten Kühlkettenlogistik geleistet wird. Die Produktion vor Ort soll über sogenannte Technologietransfer-Zentren erleichtert werden – genannt werden dafür im Abschlusspapier die Länder Argentinien, Brasilien und Südafrika. Kanzlerin Merkel verwies in Rom unter anderem darauf, dass der deutsche Hersteller Biontech unter Vermittlung von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Produktionsstätten im Senegal und in Ruanda aufbaut, wo die Herstellung im kommenden Jahr beginnen soll.