Ob auf der Friedensdemo oder im Gemeinderat: Der Gerlinger Rathauschef Dirk Oestringer bezieht Stellung.

Die zu erwartende Flüchtlingswelle stelle eine große Herausforderung für die Stadt dar, sagt Dirk Oestringer. Er appelliert auch an die Bevölkerung, denn die Kommune sei dabei auf die Solidarität der Stadtgesellschaft angewiesen.

 

Herr Oestringer, woher nehmen Sie den Optimismus, dass dieser Aufruf von Erfolg gekrönt sein wird?

Wir als Stadtverwaltung sind trotz aller Herausforderungen grundsätzlich optimistisch eingestellt. Wir schöpfen unseren Optimismus aus der enormen Solidarität, die sich weltweit, aber auch bei uns vor Ort in Gerlingen mit der Ukraine derzeit zeigt. Wie ein Zitat von Annelies Walus beschreibt, sind aber Optimismus und Hoffnung letztlich nicht alleine hilfreich. Das Handeln und die Konsequenzen sind entscheidend, weshalb wir in dieser Situation alles versuchen möchten, diesen Menschen schnell und unbürokratisch humanitäre Hilfe und Schutz zu bieten.

Es ist die zweite Flüchtlingswelle nach 2015/ 2016. Damals kamen vor allem Syrer, Afghanen und Iraker. Wie fällt die Bilanz der Integration aus?

Die Bilanz ist durchaus positiv, zwischenzeitlich haben viele Geflüchtete regulären Wohnraum gefunden. Zudem ist ein Teil in Beschäftigung oder in Ausbildung. Die Integration ist auch aufgrund der Unterstützung der Ehrenamtlichen des Freundeskreises Asyl gut gelungen.

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Der Fremde ist der Stadt vertraut. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm sie Ungarndeutsche auf – mit Konsequenzen?

Dass Gerlingen für viele Heimatvertriebene ein neues Zuhause wurde, ist mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil unserer städtischen Identität. Unsere Stadt hat den Ungarndeutschen viel zu verdanken, denn sie waren in den 1950er- und 1960er-Jahren wesentlich am Aufbau der aufstrebenden jungen Stadt Gerlingen beteiligt. Deshalb haben wir die Aufgabe als Patenstadt seit mehr als 50 Jahren mit Verantwortung und großem Einsatz wahrgenommen, damit wir diesen Menschen auch etwas zurückgeben können.

Prägte die kollektive Kraftanstrengung?

Es hat sich daraus eine tiefe Verbundenheit zu den Ungarndeutschen, aber auch zu den Menschen im heutigen Ungarn entwickelt, die für das Zusammenleben im vereinten Europa basisbildend und gewinnbringend ist. In vielen Begegnungen haben sich die Deutschen aus Ungarn als Brückenbauer zwischen der alten und neuen Heimat betätigt. Da viele der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger diese Schicksale selbst miterlebt haben oder Geschichten von damals von ihren Eltern oder Großeltern kennen, ist die Anteilnahme am Schicksal der Menschen aus der Ukraine jetzt besonders groß.

Haben zudem Land und Kreis der Kommune bereits Unterstützung signalisiert?

Wir stehen im Austausch mit dem Landkreis und werden alle notwendigen Maßnahmen eng abstimmen. Weitere detaillierte Unterstützungsmaßnahmen stehen bisher noch nicht fest, da sich vieles noch in Abstimmung befindet. Wir sind uns jedoch sicher, dass die Vertreter auf allen Ebenen sich ihrer Verantwortung in dieser herausfordernden Zeit bewusst sind.

Reichen die Strukturen in der Stadtverwaltung und im Ehrenamt dafür aus?

Aufgrund der geschlossenen Solidarität, die uns hier in Gerlingen begegnet, sind viele freiwillige Helferinnen und Helfer auf uns zugekommen, die uns gerne unterstützen möchten, wo sie können. Um bestmöglich auf diese neue Situation reagieren zu können, haben wir ebenfalls unsere Stadtverwaltung entsprechend ausgerichtet: Das Amt für Gebäudemanagement steht in einem ständigen Austausch mit den Gerlinger Bürgerinnen und Bürgern zur Akquise, Ausstattung und Vermittlung von Wohnraum für Geflüchtete. Das Amt für Jugend, Familie und Senioren der Stadt steht umgekehrt mit anderen kooperierenden Behörden wie etwa der Landeserstaufnahmestelle, dem Landkreis sowie den Geflüchteten selbst in einem ständigen Kontakt, um den Geflüchteten bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten.