Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Eines der letzten geschlossenen rechtsmedizinischen Institute ist das der Universität Tübingen gewesen, das jetzt als Lehreinheit der Pathologie angegliedert ist. In Brandenburg hat eine Enquetekommission vorgeschlagen, das rechtsmedizinische Landesinstitut dem Krankenhausbereich zuzuschlagen. Die Staatsanwälte dort laufen Sturm und befürchten eine Verschlechterung der Situation etwa bei ärztlichen Kunstfehlern. Ihre Sorge gilt der Unabhängigkeit der Gutachter. Auch die rechtsmedizinischen Institute in Halle und Magdeburg sind in ihrer Existenz bedroht.

 

Die Abwärtsspirale begann bereits um die Jahrtausendwende, als an vielen Instituten ein Generationswechsel anstand. Das eröffnete für Besetzungsgremien Perspektiven der Umstrukturierung und damit die   verlockende Möglichkeit, Einsparungen umzusetzen.

„Uns fehlt unter diesen Bedingungen der gute Nachwuchs“, sagt Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wo kein Angebot an attraktiven Stellen vorhanden ist, da mag auch niemand studieren, geschweige denn sich eine berufliche Zukunft vorstellen. „Es wird schwieriger, die Besten für das Fach zu gewinnen“, glaubt auch sein Freiburger Professorenkollege Pollak. Vieles hänge von dem persönlichen Engagement und der Begeisterungsfähigkeit Einzelner ab.

Der Hausarzt stellt den Totenschein aus – auf welcher Basis?

Auswirkungen hat das nicht nur auf die kommende Generation von Gerichtsmedizinern. Folgen hat diese Einschränkung der Möglichkeiten auch für die ganz normalen Ärzte, zu deren Aufgabenfeld es gehört, die Todesursache festzustellen, wenn sie einen Totenschein ausstellen. Und das ist das fast tägliche Tun von niedergelassenen Hausärzten. Es steht außer Frage, dass sie verlässlicher urteilen, wenn sie gut ausgebildet sind und ein bisschen gründlicher in die Rechtsmedizin reinschauen konnten. Eine Studie der Universität Münster geht davon aus, dass acht Prozent aller Todesfälle keine natürliche Ursache haben. Nur in zwei Prozent der Fälle werde jedoch obduziert, um Zweifeln auf den Grund zu gehen. Das ist keine sehr beruhigende Feststellung für eine Gesellschaft, die den Grusel liebt, den Täter jedoch auf extreme Distanz halten will.

Eine Gesellschaft, deren gewählte Vertreter sich für immer schärfere Gesetze gegen Gewaltstraftäter einsetzen und das Wegschließen mehrheitlich zur adäquaten Verbrechensprophylaxe erklärt haben, saugt das Verbrechen aus der sicheren Distanz des Lesers begeistert auf – das ist zwar nicht ganz neu, den lustvollen Schauder angesichts des Bösen gab es schon immer –, dennoch ist das im Fall der Rechtsmedizin ein bemerkenswerter Widerspruch.

Gerichtsmediziner schreiben Bestseller

Gerichtsmediziner sitzen in Talkshows und finden sich mit ihren Publikationen in den Bestsellerlisten auf den oberen Plätzen wieder. Das Phänomen steht in seltsamem Kontrast zur Wirklichkeit der Rechtsmedizin in den deutschsprachigen Ländern. Im vergangenen Jahrzehnt ist diese Richtung der Medizin nicht etwa ausgebaut worden, vielmehr sind rechtsmedizinische Institute geschlossen oder mit anderen zusammengelegt und frei werdende Lehrstühle nicht mehr besetzt worden.

Konkret heißt das: die Institute in Marburg und Aachen etwa wurden ganz geschlossen. In Schleswig-Holstein teilen sich die Einrichtungen in Kiel und Lübeck einen Institutsleiter. Auch in Sachsen-Anhalt werden die rechtsmedizinischen Institute in Magdeburg und Halle von einem gemeinsamen Leiter geführt. Ähnlich verfährt man in Berlin, wo zwei Institute zusammengelegt wurden. „Das führt immer zu einer Einschränkung der Kapazitäten“, sagt Stefan Pollak, der seit 2005 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin ist.

Die Rechtsmedizin hat schlechte Karten

Pollak ist Chef des rechtsmedizinischen Instituts des Universitätsklinikums Freiburg. Die Universität habe für sein Institut im Rahmen eines Strukturplanes eine Bestandsgarantie ausgesprochen. Pollak ist damit in vergleichsweise privilegierter Situation. Es ist beileibe nicht nur die Politik, welche die Rahmenbedingungen festlegt, es sind vor allem die Universitäten selbst, die ihren gerichtsmedizinischen Instituten den Garaus machen. Denn die Rechtsmediziner haben in der Logik des Rankings der Wissenschaften untereinander die schlechteren Karten. Im Vergleich mit anderen Sparten der Wissenschaft produzieren sie wenig schlagzeilenträchtige Neuigkeiten. Sie praktizierten angewandte Wissenschaft, trügen weder zur Krankenversorgung bei, noch lieferten sie Grundlagenwissen, resümiert der Österreicher Pollak abgeklärt.

„Mit den herkömmlichen Leistungsparametern wird unser Fach schlecht abgebildet“, mit diesen nüchternen Worten fasst er das Dilemma seiner Zunft zusammen. Was zähle, sei der sogenannte Impact-Faktor. Dahinter verbirgt sich die Zitierhäufigkeit eines Fachartikels. In der Wissenschaftsgemeinde, in der die Beteiligten ihr Grundlagenwissen oft gegenseitig zitieren, kommen Sparten wie die Rechtsmedizin, die theoretisches Wissen nur anwenden, zwangsläufig nicht oft vor.

Rechtsmedizinische Institute werden geschlossen

Eines der letzten geschlossenen rechtsmedizinischen Institute ist das der Universität Tübingen gewesen, das jetzt als Lehreinheit der Pathologie angegliedert ist. In Brandenburg hat eine Enquetekommission vorgeschlagen, das rechtsmedizinische Landesinstitut dem Krankenhausbereich zuzuschlagen. Die Staatsanwälte dort laufen Sturm und befürchten eine Verschlechterung der Situation etwa bei ärztlichen Kunstfehlern. Ihre Sorge gilt der Unabhängigkeit der Gutachter. Auch die rechtsmedizinischen Institute in Halle und Magdeburg sind in ihrer Existenz bedroht.

Die Abwärtsspirale begann bereits um die Jahrtausendwende, als an vielen Instituten ein Generationswechsel anstand. Das eröffnete für Besetzungsgremien Perspektiven der Umstrukturierung und damit die   verlockende Möglichkeit, Einsparungen umzusetzen.

„Uns fehlt unter diesen Bedingungen der gute Nachwuchs“, sagt Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wo kein Angebot an attraktiven Stellen vorhanden ist, da mag auch niemand studieren, geschweige denn sich eine berufliche Zukunft vorstellen. „Es wird schwieriger, die Besten für das Fach zu gewinnen“, glaubt auch sein Freiburger Professorenkollege Pollak. Vieles hänge von dem persönlichen Engagement und der Begeisterungsfähigkeit Einzelner ab.

Der Hausarzt stellt den Totenschein aus – auf welcher Basis?

Auswirkungen hat das nicht nur auf die kommende Generation von Gerichtsmedizinern. Folgen hat diese Einschränkung der Möglichkeiten auch für die ganz normalen Ärzte, zu deren Aufgabenfeld es gehört, die Todesursache festzustellen, wenn sie einen Totenschein ausstellen. Und das ist das fast tägliche Tun von niedergelassenen Hausärzten. Es steht außer Frage, dass sie verlässlicher urteilen, wenn sie gut ausgebildet sind und ein bisschen gründlicher in die Rechtsmedizin reinschauen konnten. Eine Studie der Universität Münster geht davon aus, dass acht Prozent aller Todesfälle keine natürliche Ursache haben. Nur in zwei Prozent der Fälle werde jedoch obduziert, um Zweifeln auf den Grund zu gehen. Das ist keine sehr beruhigende Feststellung für eine Gesellschaft, die den Grusel liebt, den Täter jedoch auf extreme Distanz halten will.

Püschel ist seit mehr als zwanzig Jahren Inhaber des Lehrstuhls für Rechtsmedizin an der Universität Hamburg. Der Institutsleiter ist einer, der seine Erfahrung populärwissenschaftlich bisher für sich behalten und noch keinen massentauglichen Bestseller geschrieben hat. Einzig in dem Sachbuch „Tote haben keine Lobby“ von Sabine Rückert, der damaligen Gerichtsreporterin der Wochenzeitung „Die Zeit“ ließ er sein Fachwissen einfließen.

Der „Tatort“ malt ein schiefes Bild

Wenn man ihn auf die Darstellung seines Berufs in den Medien fragt, erklärt er gern und schon ein bisschen genervt, dass in gerichtsmedizinischen Instituten beim Sezieren weder Rotwein getrunken wird noch Butterbrote gegessen werden. „Wir sind auch nicht so gut ausgestattet und sind auch nicht die, die alles rausbekommen, mit den besten Laboren und den neusten Methoden.“ Von der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Dr. Boerne können Püschel und sein Berufsstand nur träumen. Die Wirklichkeit ist nicht telegen und muss deshalb aufgehübscht und überzogen dargestellt werden. Die Beschäftigung mit Gewalt und Tod, davon ist Püschel überzeugt, beschränke sich auf den allsonntäglichen „Tatort“. Der entfalte dann seine kathartische – also reinigende – Wirkung. Und dann sei es aber auch gut für den Rest der Woche. Das alles sei allerdings zwar ärgerlich, aber nicht weiter bedrohlich. Die viel dramatischere Folge der Institutsausdünnung benennt Klaus Püschel mit wesentlich deutlicheren Worten: „Das geht auf Kosten der Rechtssicherheit.“ Nüchtern schiebt er eine banale Feststellung in Form einer Frage nach, die es in sich hat. „Was ist schon bedeutender als die Todesdiagnose?“, fragt der Hanseat bewusst provokant. Wahrscheinlich, mutmaßt der Mann, der selbst Gewebe- und Organspender ist und stets einen Zettel bei sich trägt, der ihn als Menschen ausweist, der seinen Körper für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen will, leben wir in einer vergleichsweise zu friedlichen Welt. Den Gedanken, dass Tod und Gewalt aufgeklärt werden müssen, kann man so bequem aus dem Denken verbannen.

Die Opfer haben keine Lobby

„Das ist eine ziemliche Katastrophe für die Opfer“, sagt auch Elisabeth Türk mit Blick auf die Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten für Rechtsmediziner. Aber die Opfer, sagt die Hamburger Ärztin, hätten halt keine Lobby. Die Leidtragenden der Sparpolitik, das sind die Toten, aber auch Gewaltopfer wie misshandelte Frauen, missbrauchte Kinder und Gefolterte. Sie protestieren nicht gegen den Abbau der Institutionen, die dafür da sind, an ihrem Körper rechtsfeste Beweise zu sichern, um Täter überführen oder überhaupt erst die wahre Identität beispielsweise der anonymen Opfer einer Naturkatastrophe feststellen zu können. Elisabeth Türk hat mehr als zehn Jahre als Rechtsmedizinerin in Hamburg, Großbritannien und dem Saarland gearbeitet. Sie kennt die langen Wege von Instituten zu Tatorten, die wegen der Ausdünnung für ihre Berufskollegen zum Arbeitsalltag gehören. Vom Hamburger Institut werden auch Fälle in Niedersachsen, beispielsweise in Bremerhaven, versorgt. Das bedeutet einfach bis zu zwei Stunden Anreise – und zurück noch einmal die gleiche Zeit. Der Verdacht liegt nahe, dass der Weg des anreisenden Rechtsmediziners oder die Distanz zum nächsten Obduktionsort Einfluss darauf hat, ob die Ermittler sich im Zweifelsfall für oder gegen eine gerichtsmedizinische Untersuchung entscheiden. Zeit und Wege kosten Geld.

Seit 2011 ist Türk wieder in einer Klinik bei Hamburg als Kardiologin tätig. Der Rechtsmedizin hat sie jedoch nicht endgültig den Rücken gekehrt. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe wird sie weiter mit ihrem ehemaligen Institutschef Klaus Püschel zusammenarbeiten. Auch im Klinikalltag hilft ihr die Zeit in der Rechtsmedizin. Schließlich geht es da immer auch um rechtsmedizinische Fragen wie die des Patientenrechts. Türk kommt eine lange Erfahrung auf diesem Arbeitsfeld zugute, die Medizinstudenten zunehmend vorenthalten wird. Denn wer vom Ende des Lebens her denkt, handelt bei der Vermeidung von Fehlern anders. Da ist Türk ganz bei Püschel, der sagt: „Nichts ist lebendiger als die Gerichtsmedizin. Dort lernen wir von den Toten für die Lebenden.“