Vor 20 Jahren schälten sich seine Überreste aus dem Eis - heute ist "Gletschermann" Ötzi weltberühmt. Auch weil sein Tod immer noch Rätsel aufgibt.

Bozen - Der Mann, der heute in aller Welt Ötzi genannt wird, verblutete im späten Frühjahr vor 5100 bis 5350 Jahren am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen in rund 3200 Meter Höhe wohl innerhalb weniger Minuten. Einige Hundert Jahre später errichteten Menschen im Südwesten Englands den Monumentalbau Stonehenge, und der ägyptische König Cheops gab sein eigenes Grabmal in Form einer riesigen Pyramide in Auftrag. Beide Bauwerke sind weltberühmt, über Bauherrn und Bauarbeiter ist dagegen nur wenig bekannt. Vom Eismann aus den Ötztaler Alpen aber wissen Forscher wie Klaus Oeggl von der Universität in Innsbruck inzwischen erstaunliche Details aus seinem Leben: Wovon ernährte er sich in den letzten 33 Stunden seines Lebens und wo nahm er diese Mahlzeiten zu sich?

 

Solche Fragen kann der Innsbrucker Pollenspezialist beantworten, weil Ötzis Körper kurz nach seinem Tod im Gletschereis einfror und gefriergetrocknet wurde. Erst vor 20 Jahren am 19. September 1991 entdeckten Wanderer zufällig die Mumie, die ein heißer Sommer zum Teil aus dem Eis geschmolzen hatte. Seither ist der Eismann eine Goldgrube für Stein- und Kupferzeitforscher.

Ein Pfeil hatte Ötzi von hinten getroffen

Seine Ausrüstung und seine Mumie wurden zunächst an der Uni Innsbruck und seit 1998 im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen untersucht - und lieferten seither immer wieder spektakuläre Ergebnisse. Lange rätselten die Forscher zum Beispiel über die Todesursache. Auf Röntgenbildern entdeckten sie dann im Juli 2001 einen Fremdkörper in der Schulter: Ein Pfeil hatte Ötzi von hinten getroffen und dabei eine Hauptschlagader verletzt. Im umliegenden Gewebe findet sich ein großer Bluterguss. "Bei solchen Wunden wird man leicht ohnmächtig", erklärt Klaus Oeggl. Danach könnte der Eismann verblutet sein.

Vielleicht starb er aber auch an den Folgen eines Schädelbruchs, der 2007 samt Bluterguss am Hinterkopf entdeckt wurde. Ob ihm jemand nach dem Pfeilschuss noch den Kopf eingeschlagen hatte oder ob er nach dem Treffer auf den Hinterkopf fiel und sich dabei die schwere Verletzung zuzog, ist nicht klar.

Abschürfungen und Prellungen an verschiedenen Körperteilen

Jedenfalls starb Ötzi eines gewaltsamen Todes. "Alles Weitere ist bisher zumindest Spekulation", meint Klaus Oeggl weiter. Er spielt damit auf Überlegungen an, nach denen der Mann aus dem Eis von Räubern überfallen wurde oder einem Eifersuchtsdrama zum Opfer gefallen sein könnte. Ötzis letzte Tage verliefen jedenfalls nicht allzu friedlich. Im Jahr 2003 berichteten Forscher von einer tiefen Verletzung an der rechten Hand, die er sich zumindest einen Tag vor der tödlichen Verletzung mit dem Pfeil zugezogen haben muss. Abschürfungen und Prellungen an verschiedenen Körperteilen lassen einen Nahkampf in dieser Zeit vermuten. Über genauere Umstände aber tappen die Forscher im Dunkeln. Einiges aber deutet auf recht unruhige letzte Stunden für Ötzi hin, möglicherweise war der Steinzeitmann auf der Flucht.

Dafür sprechen auch die Orte seiner letzten Mahlzeiten. Die konnte der Spezialist Klaus Oeggl analysieren, weil Magen und Darm samt Inhalt in der Mumie erhalten blieben. Dort finden sich nicht nur Speisereste, sondern zum Beispiel auch Blütenpollen, die in der Luft schwebten oder im Wasser schwammen.

Pollenproben liefern wichtige Erkenntnisse

Als Ötzi seine Mahlzeiten zu sich nahm, hat er diese Pollen mit der Luft oder beim Trinken unbewusst mit aufgenommen. Da Ärzte recht genau wissen, wie lange Speisen bei einem durchtrainierten 45-Jährigen wie Ötzi vom Magen bis zu bestimmten Stellen des Darms unterwegs sind, untersucht Klaus Oeggl an den Fundstellen der Nahrungsreste diese nicht aus der Nahrung stammenden Pollen. Ein Vergleich mit dem Pollenproben verschiedener heutiger Regionen zeigt ihm dann die Landschaft, in der Ötzi die jeweilige Mahlzeit zu sich nahm.

33 Stunden vor seinem Tod hat der Mann in der Nähe der rund 2400 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Waldgrenze eine Mahlzeit aus Brot, Gemüse und Fleisch zu sich genommen. Den Ort des Essens schließt der Innsbrucker Paläoökologe aus den Pollen von Nadelbäumen und anderen Gewächsen, die für diese Zone typisch sind; und den Zeitpunkt rekonstruiert er aus der entsprechenden Fundstelle der Pollen ziemlich am Ende des Darms.

 Fleisch stand damals öfter auf dem Speiseplan

Nach dieser Mahlzeit ging Ötzi ins Tal. Neun bis zwölf Stunden vor seinem Tod gab es ein weiteres Essen aus Brot, das auf heißen Steinen gebacken wurde, gegrilltem Hirschfleisch sowie vermutlich roh verspeistem Gemüse. Zu diesem Zeitpunkt saß der Steinzeitmann in einem Eichenmischwald, wie er für wärmere Zonen in 1200 oder 1400 Meter Höhe typisch ist, verraten die Pollen Klaus Oeggl. Fleisch stand damals wohl öfter auf dem Speiseplan. Zumindest lassen das die Gallensteine vermuten, die in der Mumie gefunden wurden.

Anschließend wanderte Ötzi rund 2000 Höhenmeter zum Tisenjoch hinauf, wo er sich den Magen mit Steinbockfleisch, Vollkornbrot und Gemüse vollschlug. "Von dort oben hatte er das Gelände gut im Blick und konnte so mögliche Verfolger rechtzeitig entdecken", erklärt Klaus Oeggl. Weshalb ihn dort oben trotzdem ein Pfeil in den Rücken erwischte, wird vermutlich ewig ein Rätsel bleiben. Der Steinbock vom Grill, dessen Reste die Wissenschaftler in seinem Magen fanden, sollte jedenfalls Ötzis letzte Mahlzeit bleiben.

Der Steinzeitmann aus dem Eis

Fund: Als Bergwanderer die gefriergetrocknete Mumie des Eismannes Ötzi am 19. September 1991 in der Nähe des Tisenjochs in den Ötztaler Alpen fanden, vermuteten sie zunächst, einen in den letzten Jahren verunglückten Bergsteiger vor sich zu haben. Erst sechs Tage später bekam der Archäologe Konrad Spindler von der Innsbrucker Universität den Fund zu Gesicht und vermutete gleich, dass der Mann vor mindestens 4000 Jahren verstorben wäre. Eine Kohlenstoff-14-Istotopen-Datierung gab ihm später recht: Ötzi hatte demnach zwischen 3359 und 3105 vor Christus das Zeitliche gesegnet, er hatte also mehr als 5000 Jahre im Gletscher gelegen.

Statur: Die Mumie wiegt nur 13 Kilogramm und ist 154 Zentimeter lang. Allerdings lässt Gefriertrocknung einen Leichnam schrumpfen. So haben die Forscher die Körpergröße des lebenden Ötzis auf etwa 160 Zentimeter rekonstruiert. Der schlanke Mann wog wohl um die 50 Kilogramm. Die Struktur der Knochen verrät ein Alter von ungefähr 45 Jahren. Bei der Mumifizierung fielen zwar die Haare aus, in der Nähe der Mumie aber fanden sich Haarbüschel. Das braune Haupthaar fiel demnach zumindest bis auf die Schultern, ein Vollbart prägte die Gesichtspartie.

Herkunft: Inzwischen ist Ötzis Genom zwar komplett analysiert, aber noch nicht vollständig ausgewertet. Schon jetzt verrät die Isotopenanalyse der Zähne, dass der Mann als Kind wohl im oberen Eisacktal oder im unteren Pustertal im Osten Südtirols zu Hause war. Viele Jahre vor seinem Tod lebte er dann im Vinschgau im Westen Südtirols direkt zu Füßen der Ötztaler Alpen.

Ausstattung: Das Kupferbeil und der große, 180 Zentimeter lange Bogen aus Eibenholz mit den langen Pfeilen weisen Ötzi als eher wohlhabend aus. Jacke und Beinlinge waren aus Schaffell mit Tiersehnen genäht. Die Schuhe waren aus Rindleder und Bärenfell hergestellt, mit Heu gepolstert und hatten eine Ledersohle. Die Mütze war aus Bärenfell.