Großbritanniens Ex-Premier geht zum Angriff auf die eigene Regierung über – an der Basis der Partei und eventuell auch bei der kommenden Bürgermeisterwahl.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Nach der scharfen Aburteilung des früheren Premierministers Boris Johnson durch einen Unterhausausschuss sind Johnson und seine Anhänger zum Gegenangriff übergegangen. Sie haben beschlossen, die Parteibasis der Konservativen gegen die Tory-Fraktion und die eigene Regierung aufzuwiegeln – und drohen Parteikollegen, die sich für den Ausschussbericht aussprechen, die Abwahl in ihren jeweiligen Wahlkreisen an.

 

Zwar bestehen kaum Zweifel daran, dass das Parlament den Ausschussbericht am Montag im Unterhaus gutheißen wird, schon weil die Opposition für ihn stimmen wird und die Zahl der Johnson-Loyalisten, die ihn ablehnt, in der Unterhausfraktion auf zwei bis drei Dutzend geschrumpft ist. Seiner Gefolgschaft riet Johnson am Freitag sogar, sich der Stimme zu enthalten. Offenbar liegt ihm nichts daran, dass deutlich wird, wie gering sein Rückhalt ist in der Fraktion.

Wütende Tory-Aktivisten

Viele Tory-Abgeordnete, die mit Johnson nichts mehr zu tun haben wollen, hatten freilich zuvor schon erwogen, sich zu enthalten oder der Abstimmung fernzubleiben – in diesem Fall aus Angst vor Strafmaßnahmen durch ihre Ortsvereine. Denn wer für den Bericht sei, bringe nur erboste Parteimitglieder gegen sich auf, erklärte dazu jetzt ein Ex-Minister der BBC. Ein anderer Insider meinte: „Die begreifen nicht, wie viel Zorn sie in der Partei aufgerührt haben mit ihrem Report.“ Die ehemalige Kulturministerin Nadine Dorries, eine enge Vertraute Johnsons, verkündete, wer sich für den „bizarren“ Report ausspreche, werde „von der Parteimitgliedschaft und der Öffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen“ und müsse darauf gefasst sein, von wütenden Tory-Aktivisten „aus der Partei gekickt“ zu werden. Blitzumfragen zufolge glaubt nur etwa ein Drittel aller Tory-Mitglieder, dass der Bericht „das Ende der politischen Karriere Boris Johnsons“ bedeute. 54 Prozent glauben dagegen, dass es für Johnson „noch keineswegs vorüber“ sei.

Und dies, obwohl der Ausschuss den Ex-Premier in seinem vernichtenden Urteil der „bewussten Irreführung des Parlaments“ bezichtigt hatte und ihm praktisch vorwarf, eine Gefahr für die demokratischen Institutionen des Vereinigten Königreichs zu sein.

Das hielt Johnson nicht davon ab, den am Donnerstag veröffentlichten Bericht „total geistesgestört“ zu nennen. Seine Anhänger sprachen von einem „gehässigen und rachelüsternen“ Report. Der Abgeordnete James Duddridge, ein früherer parlamentarischer Privatsekretär Johnsons, giftete: „Warum machen wir nicht gleich Nägel mit Köpfen? Warum stellen wir Boris nicht gleich an den Pranger und teilen verfaultes Essen aus, damit man ihn damit bewerfen kann?“

Johnson wird Kolumnist für die „Daily Mail“

Auf der Gegenseite bezeichneten frühere Verbündete Johnsons wie der Abgeordnete Tim Loughton den Ausschussbericht als „legitim“ und als „ein niederschmetterndes Urteil“. Partei- und Regierungschef Rishi Sunak hielt sich am Freitag zurück und signalisierte, dass er am kommenden Montag lieber gar nicht im Parlament sein will.

Derweil konzentriert sich Boris Johnson bereits voll auf die künftige politische Schlacht gegen Sunak und gegen „das Establishment“ seiner Partei, dem er einen „Mordanschlag“ auf seine persönliche Karriere vorwirft. Er hofft, erneut weite Teile der Parteibasis auf dem konservativen Parteitag im Oktober hinter sich zu bringen.

Dem Ex-Premier ist es außerdem gelungen, sich eine äußerst nützliche Plattform zu sichern, von der aus er die Regierung attackieren kann. Die einflussreiche „Daily Mail“ stellt dem Ex-Premier Platz für eine neue wöchentliche Kolumne zur Verfügung. Informationen der „Financial Times“ zufolge erwägt Boris Johnson außerdem, bei den Londoner Bürgermeisterwahlen des nächsten Jahres als unabhängiger Kandidat ins Rennen zu gehen, schon um den konservativen Kandidaten in Bedrängnis zu bringen, aber auch, um seine Popularität zu testen.