Von dem emotionalen Auf und Ab rund um den Friseurbesuch und der Frage, warum diese Hornfäden auf dem Kopf so wichtig sind.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Kürzlich ärgerte sich ein Freund: Der Fotograf für die neuen Profilbilder sei zu schnell nach dem letzten Friseurbesuch ins Büro gekommen. Nun habe er auf den Bildern zu kurzes Haar. Ein gutes Foto hätte – so der Freund – erst ein, zwei Wochen später entstehen können. Dann nämlich, wenn sich die Haare wieder zur Idealfrisur ineinander geschmiegt hätten.

 

Das lässt aufhorchen: Gibt es noch andere Menschen, die die gefühlsmäßigen Verwerfungen rund um den Coiffeurbesuch kennen? Muss es eigentlich! Denn die wenigsten sind ja mit so einer Mähne gesegnet, die außer Spitzenschneiden nichts verlangt, um eine Zierde zu sein, ein Rahmen, der das Gesicht, je nach Zustand, entweder zurückgenommen zur Geltung bringt oder prätentiös von ihm ablenkt. Alle anderen Menschen drehen sich – das ergab eine nicht repräsentative Umfrage im direkten Umfeld – in einem ununterbrochenen Kreislauf, in seiner Komplexität dem Zitronensäurezyklus aus dem Bio-Grundkurs ähnlich. In diesem entwickelt sich das Kopfhaar vom Zustand totaler Verwahrlosung hin zur Wunschfrisur und wieder zurück.

„Gerade gefiel es mir irgendwie besser“

Wobei die Welt-Haar-Formel mit den Variablen Schnitt, Zeitpunkt, Haarcharakter längst nicht gefunden ist. Nehmen wir als Startpunkt den Besuch im Salon, der in sich schon das Zeug zur emotionalen Achterbahnfahrt hat. Die Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“ haben es vor einigen Jahren treffend in ein Diagramm gebracht. Darin zeichneten sie die Verfasstheit des Kunden in einer erst auf-, dann steil abfallenden Kurve nach, die von folgendem innerem Monolog begleitet wird: „Kann noch ein bisschen weg.“ – „Ah, super so!“ – „Gerade gefiel es mir irgendwie besser.“ – „Was denn jetzt noch!“ – „Zum Glück habe ich meine Mütze dabei!“

Direkt nach dem Waschen-Schneiden-Föhnen scheint es also bei vielen Beschnittenen ein Fremdeln mit dem haarigen Arrangement zu geben. Dieses legt sich nach den ersten ein, zwei heimischen Waschgängen dann meist, um zu jenem sich steigernden Glücksgefühl zu werden, wenn die Frisur in den kommenden Wochen in diesen (von dem Freund beschriebenen) Idealzustand hineinwächst. Dieser hält mal mehr, mal weniger lang an, bevor die Konturen nach und nach überwuchert werden, zerbröckeln wie die Mäuerle eines vernachlässigten Gartens. Was ohnehin eine passende Metapher ist: Wie beim Garten ist es auf dem Kopf ein schmaler Grat zwischen überpflegtem Kleingärtle und lässigem Naturgarten, der mehr Arbeit macht, als man meint.

In „Haarige Kunst. Über den Eigensinn des Haars und das Können von Friseuren“ beschreiben die Soziologen Hans G. Bauer und Fritz Böhle dieses komplizierte Geflecht aus Friseurkunst, ausgewachsenen Kundenerwartungen und dem Eigenleben der langen Hornfäden, die jedes Säugetier besitzt. Mit ihnen umzugehen sei ein „Kitzel“, so die Autoren, weil das Ergebnis zunächst irreversibel ist. Kaum verwunderlich also, dass damit Endorphinausschüttungen ebenso verbunden sind wie traumatische Erlebnisse. Da oben gehe es eben um mehr als einen Wuschel aus Keratin, der vom Ansatz bis in den Nacken gebändigt werden will. Haare spiegelten „etwas vom Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und zu sich selbst“ wider.

Das Haar als Partner

Der Tipp der Wissenschaftler, den sicher auch jeder Hairstylist geben kann: Nicht gegen die Widerborstigkeit des Haares ankämpfen, sondern mit ihm als Partner zusammenarbeiten. Und dabei fragen: „Was kann ich meinem Haar anbieten?“ Das ist manchmal vielleicht ein Wow! Und manchmal eben die Wollmütze.