Vor allem Junge ziehen eine Anstellung mit der Möglichkeit zum Arbeiten in Teilzeit einer eigenen Praxis vor. Das hat Folgen für die medizinische Versorgung in einer Stadt. Wie kann die Politik darauf reagieren? Ein Beispiel aus Leinfelden-Echterdingen.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Leinfelden-Echterdingen - Der Ärztemangel wird zum Problem – nicht nur im ländlichen Bereich, vor allem Hausärzte haben Schwierigkeiten, wenn sie ihre Praxis an einen jüngeren Nachfolger übergeben wollen. „Die Gründe hierfür sind vielfältig: Budgetierung, zunehmende Bürokratisierung und eine schwache Infrastruktur auf dem Land gehören dazu“, schreibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auf ihrer Homepage zu diesem Thema. Die flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung sei in Gefahr. Eine Modellrechnung der KBV zeige, dass „die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung bis zum Jahr 2030 moderat ansteigen, das ärztliche Angebot jedoch sinken wird“.

 

Könnten Medizinische Versorgungszentren (MVZ) eine Möglichkeit sein, diesem Trend entgegenzuwirken? In einem MVZ arbeiten mehrere Ärzte zusammen, sie sind Angestellte. Das macht es insbesondere für Frauen potenziell leichter, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, weil auch ein Arbeiten in Teilzeit möglich ist und Urlaubs- und Krankheitsvertretungen leichter zu regeln sind. „Wir haben seit Jahren eine eindeutige Tendenz bei den jungen Medizinerinnen und Medizinern, dass verstärkt eine Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis und in Teilzeit nachgefragt wird“, sagt Kai Sonntag. Der Sprecher der kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg nennt Zahlen: Anfang der 1990er Jahre habe es in der ambulanten Versorgung noch gar keine angestellten Ärzte gegeben, sondern ausschließlich in Krankenhäusern. Heute seien mehr als die Hälfte der Mitglieder, die jedes Jahr neu in die ambulante Versorgung kommen, angestellt.

Die klassische Hausarztpraxis ist oft zu klein für ein MVZ

„Das hat weitreichende Konsequenzen. Denn ein angestellter Arzt braucht immer einen anstellenden Arzt. Und da wir, vor allem in den Hausarztpraxen, immer noch viele Einzelarztpraxen haben, haben viele Praxisinhaber große Probleme, einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. Das hat zur Folge, dass größere Organisationseinheiten gebildet werden müssen. Dazu zählen dann auch MVZ. Sie bieten den organisatorischen Rahmen, um das Tätigkeitsmodell abzubilden, das heute am meisten gefragt ist“, erklärt Sonntag. Die klassische Hausarztpraxis ist also meistens schlicht zu klein, um aus ihr ein MVZ zu machen – doch größere Räume zu finden, ist oft schwierig.

In der großen Kreisstadt Leinfelden-Echterdingen gibt es so ein Beispiel. Im März 2019 eröffnete Hans-Jörg Wertenauer die Praxis Hausärzte am Weilerwald als MVZ. Er habe einen kleinen Patientenstamm von Dr. Bornemann übernommen, der dort bis Oktober 2018 eine hausärztliche Vertragsarztpraxis geführt habe. „Anfänglich haben eine Kollegin und ich in Teilzeit dort gearbeitet. Es kam dann aber zu einem sehr starken Zustrom an Patienten, weshalb wir unsere Arbeitszeiten aufgestockt haben und noch zwei weitere Kollegen hinzukamen.“

Jetzt sei die Praxis mit ihren zwei Sprechzimmern räumlich völlig ausgelastet. Eine weitere Steigerung sei wegen Platzmangels kaum noch möglich. „Ein Grund hierfür ist auch, dass die in Teilzeit arbeitenden angestellten Hausärztinnen aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen hauptsächlich vormittags arbeiten wollen“, sagt Hans-Jörg Wertenauer.

Gewerbefläche soll explizit für ein MVZ zur Verfügung gestellt werden

Er ist schon lange auf der Suche nach größeren Räumen. Er wandte sich unter anderem an die CDU im Ort, die das Thema schließlich in den Gemeinderat eingebracht hat. Das war 2019, und damit vor dem Ausbruch der Pandemie. Seit Corona habe sich die Situation verschärft. Das Thema Gesundheitsvorsorge sei wichtiger denn je. Und das Virus habe deutlich gemacht, wie wichtig es sei, Abstand zu halten, um Infektionen zu verhindern, sagt die CDU-Stadträtin Ilona Koch.

Wertenauer ergänzt, dass man gerade in den vergangenen Monaten viele Menschen in der Infektsprechstunde gehabt habe, die eigentlich gar nicht in der Patientenkartei stehen. Genauso sei es jetzt beim Thema Impfen. „Viele kleinere Praxen konnten und können das gar nicht leisten“, sagt Wertenauer und unterstreicht damit die Bedeutung eines MVZ in der Gesundheitsvorsorge.

Die CDU fordert nun in einem Antrag, die Gewerbefläche Leinfelden-Mitte für ein Medizinisches Versorgungszentrum zur Verfügung zu stellen. Das städtische Grundstück solle zum Verkauf angeboten und zeitnah ausgeschrieben werden. Ob eine solche zweckgebundene Ausschreibung rechtlich möglich ist, vermag Ilona Koch nicht zu sagen. Ihr sei es aber wichtig, die Diskussion im Gemeinderat anzustoßen. „Es soll endlich vorangehen“, sagt die CDU-Stadträtin.

„Sicherlich ist es sinnvoll, wenn eine Kommune berücksichtigt, dass das heutige Versorgungsmodell mit vielen kleinen Einzelarztpraxen nicht konserviert werden kann“, kommentiert Kai Sonntag. Er verweist aber auch darauf, dass es für die Gründung eines MVZ einen Betreiber brauche. Also jemanden, der die unternehmerische und wirtschaftliche Verantwortung und Organisation übernehme. Und es brauche Arztsitze, die aber wiederum begrenzt seien. „Im Idealfall fusionieren mehrere Praxen und schließen sich zu einem MVZ zusammen. Das bedeutet aber viel Aufwand und Bereitschaft für die einzelnen Praxen – und sicherlich auch der Kommunen beziehungsweise der Politik“, so Sonntags Fazit.