Tscharlie, Monaco Franze, Baby Schimmerlos: Helmut Dietl nahm seine Stoffe ernst, aber auch als Filmemacher und Drehbuchschreiber von einer melancholischen und aberwitzigen Seite. Ein Nachruf auf einen Mann, der mit Leib und Seele Münchner war.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Angefangen mit dem Dietl hat das alles im Lehel rund um St. Anna, dem ältesten Münchner Stadtteil – Lehel im Übrigen auszusprechen wie „Lächel“. Im Lehel jedenfalls drehte Helmut Dietl, geboren in Bad Wiessee, also am Land, Mitte der siebziger Jahre die „Münchner Geschichten“. Er kannte sich mittlerweile bestens aus in der Stadt, war hier zur Schule und zur Hochschule gegangen und schließlich Aufnahmeleiter beim Fernsehen und Assistent an den Kammerspielen geworden. Dietl sah etwas, was andere auch sahen: Zornerfüllt, also mehr als nur grantig, registrierten nicht wenige Innenstadtmünchner nach den gewaltigen Bauarbeiten für die Olympischen Spiele 1972, dass die Stadt weiterhin über Gebühr alte Substanz verschleuderte und zerstörte. Das Leben im Weltdorf mit Herz wurde für viele unbezahlbar, ungemütlich auch, und es regte sich Protest.

 

Dietl nahm die Sache ernst, aber auch – und das sollte nun sein Markenzeichen bleiben in den nächsten Jahrzehnten – als Filmemacher und Drehbuchschreiber von einer melancholischen und aberwitzigen Seite. Dazu brauchte er Schauspieler, die man Typen nennt. Dietl fand sie. Genial auf seine Weise war Dietls Debüt schon mal dadurch, dass er die schon fast übergroße Münchner Schauspielerin Therese Giehse gewann, Oma Anna zu spielen, eine wunderbar weise Frau, die ihre Zwei-Zimmer-Küche-Waschgelegenheit gerne in relativer Ruhe mit ihrem strizzihaften Enkel Tscharlie (Günther Maria Halmer) behalten würde, wenn der Immobilienschieber Herr Fischhuber (Gustl Bayrhammer) nicht wäre: die „damische Bauernsau, die g’scherte“, wie Tscharlie ihn nennt, der selber immer auf der Suche nach einer „Riesensach“ ist, dem (geschäftlichen) Durchbruch im Leben.

Der Witz an der Serie war, dass gar nicht mehr so viele Menschen im wirklichen Leben in dieser hier von Dietl so liebevoll gepflegten Altmünchner Art redeten. Er betrieb also einerseits Ethnologie und war zweitens gewissermaßen als Landeskonservator unterwegs. Einmalig. Und neu! Andererseits wiederum pickten sich die Jungen nicht nur ein paar Rosinen aus Dietls Jargon-Erfindungen heraus, die ihrerseits Usus wurden, flächendeckend: „Ois Chicago!“ zum Beispiel, das danach fast unvermeidliche „Logisch!“, und natürlich „Sowieso!“. Die Serie war volkstümlich in des Wortes bester Bedeutung.

Schräger Liebesforscherblick

Zunächst erhielt sich Dietl diesen leicht schrägen Liebesforscherblick auf München und manche seine Bewohner, die ins Aus getrieben wurden, wenn sie nicht schon dort angelangt waren. Ja, er fand sogar fürs Drehbuchschreiben jemanden, der noch viel besser ausdrücken konnte, was er eigentlich gehört und gesagt haben wollte: Patrick Süskind. Die beiden waren nicht nur unschlagbar, sondern unübertrefflich, wenn es darum ging, etwas einzufangen, was bei anderen Leuten kompliziert und unecht „Lebensgefühl“ heißt, „bayerisches Lebensgefühl“ zumal.

Im „Monaco Franze“, einer Serie, die Dietl so berühmt gemacht hat, wie er hernach eigentlich gar nicht mehr werden konnte, galt die Aufmerksamkeit von Dietl/Süskind denn auch oft der Tatsache, woher einer her stammte aus München (Nymphenburg, Harras, Haidhausen oder Berg am Laim) und noch mehr, was aus den jeweiligen Milieus mit der Zeit geworden war. Noch heute ist der „Monaco“, bairisch Mund-zu-Mund-Mund beatmet von grandiosen Schauspielern wie Helmut Fischer und Karl Obermayr, ein Lehrbeispiel für Humoroberstimmen mit ironischem Basso Continuo, sucht seinesgleichen und findet’s wahrscheinlich nimmermehr. Auch Dietl hatte es danach schwerer, bei sich selber anzuknüpfen.

Bezeichnenderweise flüchtete er vor „Schtonk!, seiner Film-Farce über das Desaster beim „Stern“ mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, schon mit „Kir Royal“, seiner Klatschreportergeschichte um Franz-Xaver Kroetz als Baby Schimmerlos, stark ins Parodistische. So etwas ließ sich im Remake, genannt „Zettl“ (mit Bully Herbig), nicht variierend wiederholen: die Zeit war geradezu erbarmungslos über Dietls Protagonistenprobleme hinweg gegangen. Es schien nun zwanzig Jahre später kaum mehr lustig, weil heute deprimierend die Regel auf dem Boulevard, was damals komisch in seiner Überzeichnung gewirkt hatte. Nach „Schtonk!“ verließ Helmut Dietl einen bestimmten inneren Bezirk nicht mehr, vielmehr drehte er sich variantenreich viel Privates von der Seele.

Dem Tod von der Schippe gesprungen

Ästhetisch hatte das durchaus noch einmal seinen Reiz, als er seine am Ende verunglückte, langjährige Liebesgeschichte mit der Schauspielerin Veronica Ferres als Paraphrase auf die Orpheus-Sage erzählte. Sehr betriebsspezifisch mutete dagegen „Rossini“ an, das als „Wer-ist-Wer“ der Münchner Filmszene zu lesen war. Im „Rossini“ trafen sie sich alle, taten sich weh, hatten sich lieb, richteten sich auf und zerstörten sich dann wieder. Dietl war ein Perfektionist, den es sehr schmerzen konnte, wenn Anschlüsse nicht stimmten, oder das Licht nicht ganz so war, wie er sich das vorstellte. Dann wurde er fuchsteufelswild, und um runter (oder eben wieder rauf) zu kommen, rauchte er an durchschnittlichen Tagen hundert Stück, also wie ein Blöder.

Hochintelligent wie er war, muss man das bei ihm tatsächlich so sagen. Als er nach einem Schlaganfall 2007 den filterlosen französischen Kippen abschwor, war er dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. 2013 allerdings holte der ihn in Gestalt von Krebs wieder ein. Dietl machte diese Tatsache und auch seine Dauerpressionen in einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo in der „Zeit“ öffentlich. Damals, im November, stand er dazu, sich nicht mit einem langsamen Sterben abfinden zu können. Dann sollte es irgendwann lieber gleich aus sein. Helmut Dietl hat, trotz aller Verachtung für viele Metamorphosen der Stadt, mit einer Liebe an München gehangen, die durch fast alle seine Filme pulst. Man kommt ihm also immer noch nahe, wenn man beispielsweise dem Monaco zuschaut, wie er auf dem alten Flughafen in Riem einem Flugzeug hinter winkt, das ihn eigentlich für immer auf die Bermudas bringen sollte, in ein anderes, ein besseres Leben. Was aber hätte so ein Münchner wie er (wie Dietl) jemals woanders gesollt? Im Abspann hört man den Monaco eins von Dietls Lieblingsliedern singen: „Drunt in der greana Au, steht a Birnbaum schee blau, juchhe...“ Am Montag ist Helmut Dietl in München gestorben. Er wurde 70 Jahre alt und hinterlässt seine Ehefrau Tamara, mit der er die gemeinsame Tochter Serafina Marie hat. Außerdem hat Dietl zwei weitere, erwachsene Kinder.