Erst die nächste Generation blieb im Lande und nährte sich dort redlich: Die „Aufholjagd“ der Schriftsteller aus Württemberg, von der Bausinger spricht, verkörpern dann Autoren wie Eduard Mörike und Justinus Kerner, Gustav Schwab und Friedrich Theodor Vischer, Wilhelm Hauff und Ludwig Uhland. Rückblickend konnte deshalb jener verklärende Eindruck entstehen, wie er in den bekannten Versen von Eduard Paulus zum Ausdruck kommt: „Der Schelling und der Hegel, / Der Schiller und der Hauff, / Das ist bei uns die Regel, / Das fällt hier gar nicht auf.“ Heinrich Heine hat in seiner 1838 geschriebenen Streitschrift „Der Schwabenspiegel“ den Dichtern der von ihm so genannten „schwäbischen Schule“ genau diese Selbstzufriedenheit vorgehalten und ihnen vorgeworfen, dass sie den „Kosmopolitismus verachten und hübsch patriotisch und gemütlich zu Hause bleiben bei den Gelbveiglein und Metzelsuppen des teuren Schwabenlandes“.

 

Bausingers Buch ist so aufgebaut, dass er in einem ersten Teil einen kursorischen Überblick über die Autoren des „schwäbischen Jahrhunderts“ gibt, um ihr Werk dann in einem zweiten Durchgang in thematisch orientierten Essays zu vertiefen. Der abschließende dritte Teil ist der Literatur in Württemberg nach dem Ende des Königreichs, also seit 1918, gewidmet und reicht bis in die Gegenwart. Dabei kommt das Buch ohne Fußnoten aus, will eher Lesebuch als akademische Abhandlung sein. Bausinger sind hier bemerkenswerte Akzentsetzungen gelungen, etwa wenn er im Kapitel „Glückliche Rückständigkeit – Die Donau bleibt katholisch“ daran erinnert, dass es auch noch den katholischen Teil Württembergs gibt: das ehemals vorderösterreichische Oberschwaben, in dem die barocke Tradition Wiens erhalten blieb und im neuerdings gern wiederaufgeführten, im oberschwäbischen Dialekt verfassten Singspiel „Die schwäbische Schöpfung“ (1743) des Paters Sebastian Sailer ihren Ausdruck gefunden hat. Oder indem er zeigt, dass von den „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ des in Nordstetten bei Horb aufgewachsenen Juden Berthold Auerbach kein direkter Weg zu der Blut-und-Boden-Mythologie späterer völkischer Heimatdichter führt.

Man würde gern noch mehr erfahren

Über andere Aspekte hätte man gern noch mehr erfahren. Bausinger kommt zwar auf die geselligen Runden im Haus von Justinus Kerner in Weinsberg zu sprechen, über literarische Salons in der Residenzstadt Stuttgart erfährt man dagegen nichts. Auch die bedeutende Rolle, die der Verleger Johann Friedrich Cotta aus Stuttgart für die schwäbische Dichterschule und weit darüber hinaus gespielt hat, hätte ein eigenes Kapitel verdient. Insgesamt lässt sich bei Bausinger die Tendenz feststellen, allen gerecht zu werden: den literarischen Emigranten und Rebellen wie den im Lande Gebliebenen, Heines Schwabenschelte wie den von ihm Angegriffenen. Das kann man Altersmilde nennen und einem Neunzigjährigen nach einem siebzig Jahre währenden Gelehrtenleben auch zubilligen. Hermann Bausinger: Eine Schwäbische Literaturgeschichte.
Klöpfer & Meyer, Tübingen. 440 Seiten, 28 Euro.