So hatten sich die Leute des Human Brain Projects ihre Pressekonferenz nicht vorgestellt. Sie wollten zeigen, wie spannend das Gehirn ist und wie innovativ ihre Ansätze. Gefragt wurden sie aber nach dem Streit über die Realisierbarkeit und das Management des Projekts.

Heidelberg - Es kommt nicht oft vor, dass ein wissenschaftliches Projekt öffentlich so kritisch diskutiert wird wie das Human Brain Project, das die europäische Hirnforschung einen großen Schritt voranbringen soll. Eine Milliarde Euro will die EU investieren. Ein ähnliches Projekt wird gerade in den USA gestartet, und auch in China, Japan und Australien werden große Programme aufgesetzt. Doch in einem offenen Brief an die EU-Kommission, den knapp 500 Neurowissenschaftler unterzeichnet haben, beschweren sich die Forscher über die Ausrichtung und das Management des Human Brain Projects. Dessen Sprecher Henry Markram und sein Team wird daher in den vergangenen Wochen die entscheidenden Fragen schon zigmal beantwortet haben. Und alle, die schon einmal eine Tagung ausgerichtet haben, werden wissen, wie viel das einem abverlangt. Aber wenn am Ende eines langen Tages – nach elf Grußworten und Vorträgen auf der Jahrestagung des Human Projects am Montag in Heidelberg – noch eine Pressekonferenz angesetzt ist, dann ist das eben die Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

Ein deutscher Kollege fragt Henry Markram nach dem Erwartungs-Management, das der in seinem Vortrag am Nachmittag erwähnt hatte: Er wolle in Zukunft deutlicher machen, wofür das Human Brain Project stehe und wofür nicht. Mancher Neurowissenschaftler hatte gedacht, in dem Projekt gehe es darum, das Gehirn besser zu verstehen. Doch Markram hatte gesagt, dass es vor allem darum gehe, die Infrastruktur für diese Art von Forschung bereitzustellen, also etwa Datenbanken und Computersimulationen. Wie lassen sich solche Situationen vermeiden? In der Pressekonferenz geht Markram nicht weiter darauf ein. Auf die Frage des Journalisten antwortet er: Das Human Brain Project sei ein neurowissenschaftliches, ein technologisches und ein computerwissenschaftliches Projekt – je nach Perspektive des jeweiligen Forschers. Aber es habe doch andere Auffassungen gegeben, hakt der Journalist nach. „Wenn sie wissen wollen, wie andere das interpretieren, müssen sie die fragen“, sagt Markram.

Die Zeit für Reformen ist knapp

Für den kürzlich berufenen Schlichter Wolfgang Marquardt, den Leiter des Forschungszentrums Jülich, wird das wohl kein leichter Job. Die Zeit für ihn ist knapp, wenn er den Zeitplan der EU nicht gefährden will. Bis Ende des Jahres will er Vorschläge präsentieren, damit die Leitung des Human Brain Projects bis Ende Februar entscheiden kann, ob sie diese annimmt. Marquardt hat erste Einzelgespräche geführt und findet, dass die Probleme von allen Seiten klar benannt werden. Nun will er zwei Arbeitsgruppen einsetzen, mit internen und externen Fachleuten besetzt, die Vorschläge ausarbeiten zur Ausrichtung und zum Management des Projekts. Eine Schlichtung mit offenem Austausch der Argumente, wie sie Heiner Geißler beim Projekt Stuttgart 21 geleitet hat, wird es nicht geben. Falls sich die Arbeitsgruppen nicht einigen, werde er selbst Vorschläge formulieren müssen, sagt Marquardt am Rande der Tagung in Heidelberg.

Die Mediation wird von beiden Seiten begrüßt. Sie sei ein guter Weg, um die Emotionen hinter sich zu lassen, heißt es mehrfach im Laufe des Nachmittags. Wie sehr die Nerven blank liegen, führt der Co-Sprecher Richard Frackowiak auf der Pressekonferenz vor. Eine französische Journalistin erkundigt sich nach der kognitiven Neurowissenschaft, die ja aus dem Kernprogramm des Human Brain Projects gestrichen worden sei. Aus welcher Zeitung sie diese falsche Information habe, fragt Frackowiak zurück. Man sei noch in der Anfangsphase, es gebe noch kein Kernprogramm und der Plan für die kommenden Jahre sei noch gar nicht geschrieben. Dabei ist der Plan, das sogenannte Framework Partnership Agreement, im Juni bei der EU-Kommission eingereicht und von Fachleuten begutachtet worden. Er wird derzeit in die endgültige Form gebracht. (Für den Entwurf des Plans hat das Human Brain Project übrigens in den Kategorien wissenschaftliche Exzellenz und Potenzial jeweils 4,5 von 5 Punkten erhalten. Nur im Bereich „Qualität und Effizienz der Umsetzung“ fiel das Ergebnis mit 3,5 von 5 Punkten schlechter aus. Erläuterungen zu den Noten gibt es in diesem PDF.) Was genau geplant ist, blieb auf der Pressekonferenz also offen.

Eigentlich hatten die Organisatoren etwas anderes geplant: Sie hatten drei Wissenschaftler aus ihren Reihen ausgewählt, die der Presse beispielhafte Projekte vorstellen sollten, um das noch reichlich abstrakte Ziel des Human Brain Projects greifbarer werden zu lassen. Das ging am Montag unter, und man kann den Frust der Wissenschaftler verstehen, die eine große Chance zu neuartiger Forschung nutzen möchten. Über den Twitterkanal schrieb das Projekt, in zweiten Jahr der Förderung werde es nun um die Wissenschaft gehen. Doch solange der Konflikt öffentlich ausgetragen wird, werden die einzelnen Projekte im Hintergrund bleiben. Verwiesen sei immerhin auf eine Broschüre, in der das Human Brain Project seine ersten Ergebnisse präsentiert.