Sie sind mehr als 100 Jahre alt. Und drehen sich immer noch unverdrossen im Kreis. Sehr zur Freude der Besucher, die wie in einer Zeitmaschine zurück in die Kindheit reisen. Ein Besuch bei den Fahrgeschäften auf dem Schlossplatz.

Stuttgart - „Du spinnst!“ Uwe Kirchers Vater redet nicht drumrum, wenn es um die Passion seines Sohnes geht. Man muss zugeben, er frönt einer ungewöhnlichen Leidenschaft. „Andere sammeln Briefmarken, ich Fahrgeschäfte“, sagt Uwe Kircher. Angefangen von der Hutwurfbude bis zur Berg- und Tal-Bahn. Klar, man müsse ein bisschen spinnen, sagt Kircher und grinst, wenn man so altes Zeug kauft, von Staub und Spinnweben befreit, zerlegt, wieder zusammenbaut und zum Laufen bringt. Immer wieder aufs Neue, wie man an seinen pechschwarzen Händen sieht. Gerade schraubt er an einem Boxauto aus den Fünfzigern herum.

 

Ehrensache war für ihn, dass er aufs Historische Volksfest kommt. Betreibt er doch mit seiner Frau Eliszi das Jahrmarkttheater auf dem Killesberg. Das Spiegelzelt haben sie von dort mitgebracht. Und zwei Fahrgeschäfte, die er seit zwei Jahren und extra für dieses Fest restauriert hat. Eine Berg-und-Tal-Bahn aus dem Jahre 1948. Und ein Autoscooter. Den hat er aus zwei Geschäften zusammengebastelt, wobei das ältere 80 Jahre alt ist. Passend dazu hat er Boxautos aus den Fünfzigern entdeckt. Gebaut von der Firma Ihle in Bruchsal. Die stellten quasi die Chevys und Cadillacs unter den Boxautos her.

Die Luftschaukel wurde 1900 gebaut

Noch viel älter ist die russische Luftschaukel von Werner Feldmann, die vor dem Königsbau steht. Sie ist nicht nur das Vorbild des Riesenrads, sondern sogar die Mutter aller Karussells. Der Engländer Peter Mundy war ein Händler. Eine seine Reisen führt ihn nach Plovdiv, ins heutige Bulgarien, damals Teil des Osmanischen Reichs. Er beschreibt ein großes Rad, an das Stühle geschraubt sind. Es dreht sich auf und ab. Später baut in Frankreich der Schausteller J. B. Russes solche Räder. Deshalb heißen sie Russische Schaukeln oder Russische Räder.

Feldmanns Rad ist um 1900 entstanden, gebaut von der Firma Bothmann in Gotha. Ein Schausteller hatte es dann ausgemustert und in einer Scheune gelagert. Weil in der Branche jeder weiß, „dass ich mich für solche Sachen interessiere“, landete es bei Feldmann. Ein halbes Jahr lang restaurierte er das 14 Meter hohe Rad mit seinen zehn Gondeln. Das war vor 15 Jahren. Seitdem geht er mit dem Rad auf Reisen. Warum das eigentlich Luftschaukel heißt, lernt wer mal eine Runde dreht. Feldmann kann nämlich beschleunigen. Die Geschwindigkeit dreht er mit einem Steuerrad, von 1 bis 8 kann er regulieren. Bei 1 geht es gemächlich zu, bei 8 schaukelt es gewaltig.

In der Raupenbahn konnte man sich unbeobachtet küssen

Normalerweise lässt er es ruhig angehen, denn am liebsten fahren Kinder und Senioren mit. Gestern, so erzählt Feldmann, sei eine 87 Jahre alte Frau dagewesen und habe ihm gesagt: „In so einem Geschäft bin ich das erste Mal im Leben Riesenrad gefahren, und jetzt auch das letzte Mal im Leben.“ Solche Geschichten hört auch Peter Buchholz auf dem Schlossplatz oft. Er betreibt mit Frau Stefanie eine Raupenbahn, gebaut 1926. Die heißt so, weil kurz vor Fahrtende das Verdeck herabfiel, und man sich unbeobachtet von Eltern, Lehrern und Pfarrern küssen konnte. An diese wenigen Sekunden erinnern sich die Leute heute noch. Eine ältere Dame hatte Buchholz angesprochen, sie sei in Krefeld als Mädchen auch in einer solchen Raupenbahn gefahren. Nun, es ist dieselbe. „Wir kommen aus Oberhausen“, sagt Buchholz, „und wir standen stets in Krefeld.“

Nicht mal der Krieg konnte sie bremsen. Macht Schwerter zu Pflugscharen Dieses Motto hat der Opa von Stefanie Buchholz nach dem Zweiten Weltkrieg beherzigt. Aus der Gefangenschaft kommend, fand er sein Karussell in Trümmern vor. Um die Raupenbahn zu reparieren, bediente er sich bei ausgebrannten Panzern. Seitdem fahren die Gondeln auf Panzerrädern. Heute noch.

Wildere Musik als im Radio

Doch die Raupenbahn war nicht nur der Schmusesekunden wegen beliebt, sie diente auch als Musikbox. Rock’n’Roll und Beat, das lief ja nicht im Radio, aber an der Raupenbahn hatten sie die Singles von Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Little Richard. Noch heute ist Wunschkonzert. Zwei Plattenspieler haben sie, und Buchholz weiß bei tausenden von Singles, „genau, wo welche steht“. Übung, sagt er und lacht: „Ein bisschen verrückt sein muss man halt, wenn man mit diesen alten Geschäften unterwegs ist.“ Wohl wahr, wie arm wäre diese Welt ohne die Spinner.