Von Dezember 2022 an soll die Fahrtzeit der Züge von Stuttgart nach Ulm um 15 Minuten kürzer sein als bisher. Die Schienen sind komplett verlegt – das wird auf der höchsten Eisenbahnbrücke Baden-Württembergs gefeiert.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Wiesensteig/Mühlhausen im Täle - Kommt er? Kommt er nicht? Bis zuletzt war unklar, ob der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sich am Mittwoch auf den Weg ins Filstal machen würde. Am Ende kam er nicht. Hermann sei „im Landtag gebunden“, hieß es. Dennoch mangelte es nicht an politischer Prominenz auf der 85 Meter hohen Filstalbrücke zwischen Wiesensteig und Mühlhausen im Täle (Kreis Göppingen). Denn die Deutsche Bahn (DB) feierte dort so etwas wie einen Meilenstein: Gut ein Jahr bevor auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm erstmals Passagiere transportiert werden, sind die Schienen verlegt, der Gleisbau ist nahezu abgeschlossen.

 

„Als ich heute Morgen hergefahren bin, dachte ich: Was für eine Symbolik“, sagte Olaf Drescher, Vorsitzender der Geschäftsführung des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm. In und hinter Stuttgart habe es noch dichten Nebel gegeben, „und hier herrscht eitel Sonnenschein“. Beim Großprojekt S 21, dem Neubau des Hauptbahnhofs, sind vor wenigen Tagen erst die ersten Kilometer Schienen angeliefert worden.

Symbolische erste Fahrt auf ungewöhnlichem Gefährt

Doch dies spielte auf der Alb am Mittwoch keine Rolle; dort herrschte Feierstimmung – auch ohne Winfried Hermann. Dass die 60 Kilometer lange Strecke zwischen Wendlingen und Ulm nun durchgängig auf Schienen befahrbar ist, zelebrierte die Bahn mit einer symbolischen Fahrt mit einer Draisine. Mehrere Ehrengäste, darunter Olaf Drescher, nahmen Platz auf dem Schienengefährt, mit dem üblicherweise Bahnstrecken inspiziert werden und das wie ein Fahrrad für mehrere Personen anmutet. Damit zockelte die Gruppe langsam einige Meter über die frisch verlegten Schienen auf der Filstalbrücke. „Den ersten Härtetest haben die Schienen bestanden“, jubelte Drescher. Zudem enthüllte er eine Gedenktafel, die den Lückenschluss in luftiger Höhe würdigt.

Grund zum Feiern hatte die DB Regio Baden-Württemberg auch, weil das Land ihr den Zuschlag für den Betrieb der neuen Strecke erteilt hat. Fahrgäste werden dort künftig mit der neuen Interregio-Express-Linie der Deutschen Bahn unterwegs sein.

Bahnreisende haben nur sieben Sekunden Zeit für Ausblick

„Die Neubaustrecke zwischen Ulm und Wendlingen dient nicht nur dem besserem Schienenverkehr im Land, sondern auch den Menschen hier in der Region“, sagte Berthold Frieß. Der Ministerialdirektor im Landesverkehrsministerium wohnt selbst im Filstal – und freute sich deshalb vor allem darüber, dass Merklingen im Alb-Donau-Kreis einen Regionalbahnhalt erhält. „Die Alb wird angebunden“, sagte Frieß.

Außerdem sprach Frieß in seinem Grußwort von einer „unglaublich schönen Brücke“ . Und merkte an: „Heute sieht man wohl besser von oben runter, als wenn man hier bald mit 250 Sachen rüber fährt.“ Bahnreisende haben künftig nämlich nur sieben Sekunden Zeit, um den Ausblick von der 485 Meter langen Filstalbrücke zu genießen. Mitte Juli war dort der sogenannte Brückenschlag gefeiert worden: Bauarbeiter hatten zwei Eisenbahntunnel miteinander verbunden: den Boßler- und den Steinbühltunnel. Gelungen war dies durch zwei nebeneinander liegende, jeweils knapp 500 Meter lange Brücken. Die Filstalbrücke ist die höchste Eisenbahnbrücke in Baden-Württemberg und die dritthöchste in Deutschland.

Lesen Sie aus unserem Angebot: So sieht die neue Filstalbrücke aus

Die Schienen wiegen rund 15 000 Tonnen

Dass die Bahn dort am Mittwoch feiern konnte, war nicht immer selbstverständlich gewesen. Zeitweise war die sehr filigrane Filstalbrücke wegen Zeitverzögerungen und Bauproblemen als kritisch für das Gesamtprojekt eingestuft worden.

Die ersten Schienen waren im Dezember 2018 angeliefert worden, der Gleisbau hatte im Frühjahr 2019 begonnen. Seitdem wurden auf der 60 Kilometer langen Strecke zwischen Wendlingen (Kreis Esslingen) und Ulm 120 Kilometer Gleise und 240 Kilometer Schienen mit einem Gewicht von rund 15 000 Tonnen verbaut. „Letzte Arbeiten müssen noch erledigt werden, bevor im Februar erste Testfahrten auf der Strecke beginnen“, sagte Olaf Drescher. Bis dahin müsse noch die Signaltechnik installiert und Strom auf die Oberleitungen gebracht werden.

Am 11. Dezember geht es los

In rund 400 Tagen, vom 11. Dezember 2022 an, soll der Testbetrieb beendet sein. Danach könnten im Stundentakt die ersten richtigen Züge auf der Strecke fahren. „Vieles wird sich dann ändern“, kündigte Olaf Drescher an. Denn ab diesem Zeitpunkt sparen sich Bahnreisende zwischen Stuttgart und Ulm 15 Minuten Fahrtzeit, langfristig 30 Minuten – wodurch die Fahrt nur noch eine halbe Stunde dauert. Dies zeige, dass man auf dem richtigen Weg zur Verkehrswende sei, sagte Drescher.

Doch dazu gehöre eben auch Stuttgart 21. „Nur damit ist die Fahrgastverdopplung, der Deutschlandtakt und die Klimawende möglich“, sagte Drescher. Bis 2030 wollen die Bahn und die Bundesregierung die Zahl der Fahrgäste verdoppeln. Gelingen soll dies durch neue und passende Schienenverbindungen im 30- bis 60-Minuten-Takt. Dieses Ziel wird Deutschlandtakt genannt.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Stuttgart 21 wird bis Ende 2025 wohl nicht komplett fertig

Nur zwei Eisenbahnbrücken sind höher

Ärger
 Die Neubaustrecke war nicht ganz so umstritten wie der Bau des neuen Bahnhofs in Stuttgart, Kritik an dem Projekt gab es gleichwohl. Dass der Bahnhof Merklingen nun ein Regionalhalt an der Strecke wird, hat die Menschen im Filstal etwas befriedet.

Schwierigkeiten
 Beim Bau der Filstalbrücke gab es immer wieder Verzögerungen. Das gewünschte filigrane Aussehen war für die Ingenieure und Bauarbeiter eine Herausforderung, zumal sie inmitten eines Wasserschutzgebiets hatten bauen müssen.

Höhere Brücken
 Noch höher als die Filstalbrücke mit 85 Meter sind die Müngstener Brücke im nordrhein-westfälischen Solingen mit 107 Meter Höhe und die Rombachtalbrücke im hessischen Schlitz (95 Meter).