Von 1. März an gilt die Impfpflicht für neue Mitarbeiter und Schüler. Was bedeutet das für die Einrichtungen?

Masern - Chaos am Anmeldetresen und heillos überfüllte Kinderarztpraxen wegen der Impfpflicht gegen Masern? Wohl eher nicht. Zumindest in der Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Weil der Stadt von Dr. Thomas Kirchner und Dr. Thomas Backhaus hat die neue Vorschrift, die ab dem 1. März gilt, am Alltag nicht das Geringste geändert. Nicht eine Anmeldung gab es von jemandem, der sein Kind noch rechtzeitig impfen lassen musste, berichtet Thomas Kirchner. „Bei uns ist es aber seit Jahren so, dass eigentlich alle Kinder bei uns geimpft werden. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen.“ Thomas Kirchner schätzt die Impfquote in der Praxis auf fast 100 Prozent. „Für uns hat sich durch die Impfpflicht daher nichts geändert.“

 

Vom 1. März an müssen alle Eltern, deren Kind neu in einen Kindergarten oder in eine Schule kommt, nachweisen, dass das Kind gegen Masern immun ist. Gleiches gilt beispielsweise für Erzieher und Lehrer sowie für Mitarbeiter in medizinischen und Pflege-Einrichtungen. Zumindest für diejenigen, die nach 1970 geboren wurden. Bei den Älteren geht man davon aus, dass sie die Masern bereits hatten, sie müssen daher keinen Nachweis mehr erbringen. Kinder, die die Schule oder den Kindergarten bereits besuchen, beziehungsweise Mitarbeiter, die bereits in der Einrichtung arbeiten, erhalten eine Frist bis Ende Juli 2021, um ihren Impfschutz nachzuweisen. Das bringt für Krankenhäuser, Schulen und Co. natürlich einen verstärkten Verwaltungsaufwand mit sich. Am Gymnasium Rutesheim und beim Klinikverbund Südwest, zu dem auch das Leonberger Krankenhaus gehört, bleibt man allerdings entspannt.

Aufklärung ist schon lange Pflicht

Schon seit seinen Anfängen vor 25 Jahren sei er gesetzlich in der Pflicht, Patienten über Impfungen aufzuklären, berichtet Thomas Kirchner. Das komme bei den meisten an. „In meiner Zeit als Arzt ist mir auch nie ein Fall begegnet, bei dem es ernste Probleme mit einer Impfung gab“, sagt er. Tatsache ist, dass bei der Masernimpfung vermehrungsfähige und abgeschwächte Viren injiziert werden, erklärt Kirchner. „Das kann später eine kleine Impf-Masern-Reaktion auslösen“, dass die Kinder kurze Zeit später einen Ausschlag und erhöhte Temperatur bekommen können, die danach wieder verschwinden. „Aber auch darüber klären wir die Eltern vorher auf, sodass es auch damit noch nie Schwierigkeiten gab.“ Er sei absolut davon überzeugt, „dass von allem, was ich hier tue, Impfungen die meisten Leben retten“, noch weit mehr als Antibiotika.

Doch welche Auswirkungen hat die neue Impfpflicht auf Krankenhäuser und Schulen? Jürgen Schwarz, der Direktor des Rutesheimer Gymnasiums, bleibt erst mal gelassen. Hier ist es so geregelt, dass die Schüler, die ab dem neuen Schuljahr in die fünfte Klasse kommen, ihre Impfbescheinigung vorlegen müssen. Das ist aber weniger aufwendig, als es klingt. „Es gibt jetzt schon ein paar Dokumente, die die Eltern bei der Anmeldung ihrer Kinder im Original vorlegen müssen, zum Beispiel die Geburtsurkunde und die Grundschulempfehlung.“ Mit dem Impfpass käme damit jetzt eben ein weiteres Dokument hinzu. Für diejenigen Schüler, die bereits in Rutesheim zur Schule gehen, gilt die Nachreich-Frist bis Juli 2021. Im Herbst wird es daher eine Gesamtaktion geben, bei der die Klassenlehrer bei ihren Schülern den Impfnachweis abfragen. „Wenn es jemand nicht hat, egal ob Kollege oder Schüler, geht von uns eine Meldung an das Gesundheitsamt.“ Alles Weitere wird dann von dort aus geregelt.

Bereits hohe Impfquote in Krankenhäusern

Auch im Klinikverbund Südwest sieht der Pressesprecher Ingo Matheus die Lage nicht als problematisch. Wer ab dem 1. März neu anfängt, muss entweder den Impfpass vorlegen oder über einen Bluttest die Immunisierung vorweisen. Für Bestandsmitarbeiter dauert die Frist für einen Nachweis bis Sommer 2021, „das sollte also gut machbar sein“.

Erleichtert wird die Situation dadurch, dass der Verbund seit 2009 für seine medizinischen Mitarbeiter ein spezielles Impfangebot hat. Die Impfungen werden dann auch direkt vom Betriebsarzt vorgenommen, sodass die Daten vor Ort dokumentiert sind. „Anfang des Jahres hatten wir bei Masern eine Durchimpfungsquote von 99,8 Prozent“, erklärt Ingo Matheus. Bislang galt das Angebot nur für Mitarbeiter, die mit Patienten üblicherweise direkten Kontakt haben. „Das Gesetz gilt nun aber für ,Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen’.“ Das sei leider eine recht schwammige Formulierung. „Wir haben das für uns so definiert, dass das für alle unserer Mitarbeiter gilt, also auch in der Verwaltung.“ Denn Berührungspunkte gebe es ja immer mal wieder. Für diese Mitarbeiter muss die Immunität bis nächstes Jahr eben noch nachgewiesen oder die Impfung nachgeholt werden.

Ungeklärt ist die Frage, was passiert, wenn sich jemand aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann, weil er zum Beispiel an einer Immunschwäche leidet. „Für uns ist klar, dass wir keine Mitarbeiter impfen können, bei denen medizinisch etwas dagegen spricht“, sagt Ingo Matheus. Inwiefern das Auswirkungen auf die Beschäftigung eines Mitarbeiters haben kann, das müsse der Gesetzgeber klären.

Impfquoten und Erkrankungen

Insgesamt lag die Impfquote im Kreis Böblingen in den vergangenen Jahren immer leicht über dem Landesdurchschnitt, wie eine Statistik des Gesundheitsamts Baden-Württemberg belegt. Die letzten Daten sind von 2018. Der landesweite Durchschnitt lag da bei 89,8 Prozent, im Kreis Böblingen waren es 90,2. Die höchste Quote mit fast 93 Prozent erreichte Böblingen 2016. Deutlich schlechter schneidet dagegen der Enzkreis ab. Er bildete in den vergangenen Jahren mehrmals das Schlusslicht in Baden-Württemberg, 2018 mit 82,5 Prozent. 2013 lag die Quote nicht mal bei ganz 79 Prozent.

Im Zeitraum von 2015 bis 2019 wurden im Landkreis Böblingen 18 Masernfälle gemeldet. 2020 sind es bislang zwei.