Was kommt Ihnen aus Ihrer Amtszeit in Rom spontan in den Sinn?
Die Verleihung des Karlspreises 2016 an Papst Franziskus hier in Rom. Das war ein großes europäisches Treffen, das der Papst genutzt hat, um den Europäern zu sagen: Es liegt ungewöhnlich viel Potenzial in Europa, ihr müsst es erkennen und hegen. Ein zweites Ereignis, das mich persönlich berührt hat, war das Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs aus Anlass des Jubiläums „60 Jahre Römische Verträge“ mit dem Papst. Das hat es noch nie zuvor gegeben: 27 Staats- und Regierungschefs! Und wieder gab es eine große Ermutigung durch den Papst, der ja aus Argentinien kommt und sich so liebevoll diesem Kontinent gegenüber zeigt.
Liebevoll? Er hat seinen Gästen an diesem Tag ja schon auch ins Gewissen geredet.
Wenn jemand so analysiert, dann ist das schon empathisch. Das ist vielleicht das bessere Wort. Empathisch und ermutigend. Im Sinne von: Jetzt nehmt das an, was alles zu euch gehört, nehmt an, was für Möglichkeiten Europa hat. Auch das Reformationsjahr war für uns hier besonders, vor allem die Begegnung des Papstes mit den evangelischen Bischöfen aus Deutschland und Kardinal Marx mit dieser großartigen Botschaft: Ihr in Deutschland habt viel Erfahrung mit der Ökumene, überlegt, was die nächsten Schritte sind, macht Vorschläge.
Diese Vorschläge führten zu Streit in der deutschen katholischen Kirche: Sieben Bischöfe haben sogar einen Protest-Brief an den Papst geschickt, weil ihnen etwa die gemeinsame Kommunion von Ehepaaren unterschiedlicher Konfession zu weit ging.
Ja, und der Papst reagierte so, wie es zu erwarten war. Franziskus hat nie vor zu viel Ökumene gewarnt. Seine Worte waren schon in der Vergangenheit eine Ermutigung, weitere Schritte zu gehen und eine Ermutigung zur synodalen Kirche. In seinem jüngsten Schreiben über die Heiligkeit schreibt er, dass es auf viele Fragen mehrere Antworten geben kann. Das sollten wir verinnerlichen. Manchem ist das vielleicht noch ungewohnt.
Der Papst ist aber auch innerhalb der Vatikanmauern heftiger Kritik ausgesetzt.
Kritik ist ein Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt. Die Unruhe ist meistens bei Veränderungen größer als beim Belassen des Status quo. Man muss auch nicht jede Meinungsverschiedenheit immer als Schwäche ansehen. Auch in der Kirche muss diskutiert werden.
Aber es wird mehr diskutiert als früher.
Wird es. Ich werte das aber als Hinweis auf Dynamik, nicht als etwas Beängstigendes.