Ob Raser Mörder sind, oder was Jan Böhmermann darf, will die BGH-Präsident Bettina Limperg öffentlich diskutieren. Dafür soll in Karlsruhe ein Ort geschaffen werden. Sie ist überzeugt, dass die Menschen Rechtsfragen umtreiben.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Karlsruhe - Für alles gibt es Gesetze – von Taschengeld über Umtauschregelungen bis zur Videoüberwachung. Dass Rechtsstaatlichkeit nicht mehr funktioniert, merkt man meist erst, wenn sie abgebaut worden ist.

 
Frau Limperg, alle reden vom Rechtsstaat. Was macht ihn eigentlich aus?
Das ist eine gute Frage! Wir reden vom Rechtsstaat, aber man kann ihn sehr unterschiedlich verstehen, er hat sehr unterschiedliche Facetten. Wir sehen das etwa in Polen oder in Ungarn. Was dort geschieht, muss man unter rechtsstaatlichen Kriterien natürlich mit vielen Fragezeichen versehen; aber die rechtsstaatswidrigen Gesetze werden mit den Mitteln des Rechtsstaats umgesetzt. Das macht die Diskussion nicht leichter.
Was ist für Sie integraler Bestandteil?
Unabdingbare Voraussetzungen sind die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, aber natürlich auch das Demokratieprinzip. Solche Prinzipien sind allerdings unterschiedlich ausgestaltbar. Was in Polen mit der Justizreform eingeführt werden soll, ist demokratisch legitimiert. Man könnte das also dadurch als gerechtfertigt betrachten.
Aber?
Demokratie als reine Mehrheitsdemokratie muss nicht immer zu richtigen Ergebnissen führen. Auch demokratische Entscheidungen können, wenn sie etwa die Gewaltenteilung aufheben, rechtsstaatswidrig sein. Da fangen die Sperrigkeiten des Rechtsstaates an. Genau das wären Bereiche, die man in einem Forum Recht diskutieren könnte: Warum braucht man die Gewaltenteilung oder die dritte Gewalt als eigenständige Größe? Auch die Unschuldsvermutung oder die Verjährung von Straftaten etwa ist für manche eine Zumutung.
Kann man das alles in Zeiten, wo viele einfache Antworten wollen, erklären?
Davon bin ich fest überzeugt. Aber damit die Menschen das Recht und den Rechtsstaat verstehen, müssen wir darüber reden. Ob Raser Mörder sind oder was es mit dem Böhmermann’schen Gedicht auf sich hat, war doch Gegenstand der allgemeinen Diskussionen. Wir müssen darüber reden, wer Rechtsgrundsätze bestimmt und warum es nicht richtig sein kann, dass immer nur eine Mehrheit recht hat. Wir könnten diskutieren, warum niemand einen Richter anweisen darf, oder darüber, ob man zur Terrorabwehr ein Flugzeug abschießen darf.
Können Sie wirklich jeden erreichen?
Natürlich müssten wir nach Zielgruppen differenzieren. Kinder etwa haben ein ganz feines Gespür für Gerechtigkeitsthemen. Mit ihnen kann man über den Taschengeldparagrafen reden und darüber, welche Rechte sie etwa im familiengerichtlichen Verfahren haben. Das hat etwas mit der Würde des Einzelnen zu tun. Das Recht schafft einen Rahmen, innerhalb dessen Schwache geschützt werden. Dafür sind Kinder, aber auch Menschen mit nicht so viel Schulbildung erreichbar. Ich glaube, viele ziehen sich vor allem zurück, weil es so schwer geworden ist, die Komplexität zu verstehen.