Wenn sich jemand im Filmbusiness auskennt, dann Matthew Weiner. Immerhin ist er der Schöpfer von „Mad Men“ und sitzt nun in der Berlinale-Jury. Im Interview verrät Weiner, für welche Filme er ins Kino geht und wie er sich nach dem Ende von „Mad Men“ fühlt.

Stuttgart - Matthew Weiner hat erst einen Kinofilm inszeniert, „Are you here“. Doch mit seinen Fernseharbeiten hat sich der Amerikaner längst einen festen Platz in der Branche gesichert. Zunächst war er jahrelang als Autor für „Die Sopranos“ tätig, zuletzt verantwortete er seine eigene Serie „Mad Men“, die in diesem Frühjahr nach sieben Staffeln zu Ende geht. Wir sprachen mit dem neunfachen Emmy-Gewinner, der Mitglied der Berlinale-Jury ist.

 
Mister Weiner, was war Ihr erster Gedanke, als Dieter Kosslick Sie in die Berlinale-Jury einlud?
Oh, wie spannend! Das war mein erster Gedanke. Und natürlich, dass ich mich sehr geehrt fühle. Schließlich ist das Festival nicht gerade eine kleine Nummer. Die Aussicht, nun dort so viele spannende Filme sehen zu können, ist eine tolle Sache. Ganz abgesehen davon, dass ich mich unglaublich freue, nach Berlin zu kommen. Denn da war ich noch nie. Noch mehr gefreut hat sich allerdings meine Frau. Die hat normalerweise überhaupt keine Lust, mich auf Reisen zu begleiten. Aber als Architektin ist Berlin ausnahmsweise genau ihr Ding.
In der Jury sind Sie als Fernsehmann – mit Verlaub – der Außenseiter.
Letztlich sitzen wir alle im gleichen Boot und stehen gemeinsam vor der verdammt schweren Aufgabe, über die Kunst von Kollegen urteilen zu müssen. Das ist immer eine ungemein subjektive Angelegenheit und fühlt sich eigentlich nicht ganz richtig an. Da macht es keinen Unterschied, ob man selbst eher im Kino- oder im Fernsehbereich oder sogar in einem ganz anderen Medium arbeitet. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass ich mit meinen eigenen Filmen natürlich auch schon das ein oder andere Festival besucht habe. Ganz fremd ist mir das Ambiente also nicht.
Haben Sie bestimmte Parameter, nach denen Sie die Filme beurteilen wollen?
Zunächst einmal ist ja das Gute, dass ich das nicht alleine machen muss, sondern wir zu siebt sind. Das mindert den Druck enorm! Davon abgesehen suche ich vor allem nach Originalität. Jeder, der auch nur versucht, in seinem Film etwas zu machen oder zu zeigen, was wir so nicht schon tausendfach gesehen haben, bekommt schon mal einen Pluspunkt. Aber auch auf die Kunstfertigkeit kommt es mir an. Aus meiner Erfahrung als Regisseur, aber auch durch die Arbeit mit anderen weiß ich, dass sich in einem Film immer die Persönlichkeit seines Machers spiegelt. Je stärker, desto spannender. Ich hoffe wirklich, ein paar Filme zu sehen, die echte Bewunderung in mir auslösen.
Sie haben Erfahrungen als Autor, Regisseur und Produzent. Gibt es einen Aspekt, auf den Sie beim Sichten eines Films besonderes Augenmerk legen?
Wenn ein Film funktioniert, dann ist er meist eine runde Sache und überzeugt auf allen Ebenen. Es hat sich in der Geschichte des Kinos so entwickelt, dass man einen Film meist dem Regisseur zuschreibt, im Guten wie im Schlechten. Aber bekanntlich ist er das Produkt von Hunderten hart arbeitenden Menschen. Und die besten Filme sind die, denen man ansieht, dass jeder Einzelne sein Bestes gegeben hat. Da stimmt dann aus der Sicht des Zuschauers alles, von der Geschichte über die Besetzung und die Regie bis hin zur Musik und den Kostümen.
Um mal ein Gespür für Ihren Geschmack zu bekommen: Für welche Filme gehen Sie denn am liebsten ins Kino?
Zuletzt habe ich vieles zu Hause auf dem Sofa gesehen. Denn von all den Filmen, die gerade um den Oscar und die anderen Filmpreise konkurrieren, bekommt man ja DVDs geschickt, um darüber abstimmen zu können. Ich gehe trotzdem auch oft ins Kino, wobei es dann oft meine vier Söhne sind, die die Filmauswahl treffen. Manches entspricht also eher dem Geschmack der Elf- bis Achtzehnjährigen, nicht immer meinem. Was nicht immer etwas Schlechtes sein muss. „Taken“ mit Liam Neeson hätte ich ohne die Jungs nie gesehen – und den mochte ich sehr. Überhaupt behaupte ich mit Stolz, immer offen für alles zu sein. Ich gucke Action genauso wie Komödien, Klassiker genauso wie Brandneues. Wobei es ja in den USA leider nicht immer einfach ist, iranische oder osteuropäische Filme zu Gesicht zu bekommen.
Dafür erwarten Sie solche Werke ja im Berlinale-Wettbewerb . . .
Deswegen freue ich mich so darauf. Auch dass ein Dokumentarfilm im Wettbewerb läuft, gefällt mir sehr. Ich liebe Dokumentationen und habe das damals auch an der Uni studiert. Aber selten gab es so viele gute wie in den letzten Jahren.
Lassen Sie uns noch einmal darauf zu sprechen kommen, dass Sie zuletzt vor allem fürs Fernsehen gearbeitet haben.
Ich freue mich, als Fernsehmann in die illustre Juryrunde aufgenommen worden zu sein. Überhaupt ist es eine Ehre, wie sehr „Mad Men“ auch von Filmemachern wahrgenommen und gelobt wird. Aber letztlich sind die beiden Welten Kino und Fernsehen ja heutzutage ohnehin enger verknüpft denn je. Vieles, was wir derzeit auf dem Bildschirm präsentieren dürfen, ist letztlich kinotauglich.
Kann das Kino angesichts unzähliger so frenetisch gefeierter Serien dieser Tage eigentlich etwas vom Fernsehen lernen?
Ich möchte da keine Hierarchie aufmachen. Aber natürlich lässt sich nicht bestreiten, dass eine Verschiebung stattgefunden hat. Viele Geschichten und Figuren, die früher im Film ihr Zuhause hatten, werden heute im Fernsehen erzählt, und zwar meist von den gleichen Leuten. Deswegen dreht ja nun selbst jemand wie Woody Allen eine Serie. Die Gründe dafür sind schlicht wirtschaftlicher Art. Kino ist heutzutage ein derart weltumspannendes Geschäft, dass das gesprochene Wort auf der Leinwand an Bedeutung verliert. Es geht nur noch um visuelles Spektakel – und um den kleinsten gemeinsamen Nenner, der im Mittleren Westen genauso verständlich und identifizierbar ist wie in China. Und das Ganze passiert mit derart viel Geld und Aufwand, dass kein Raum mehr bleibt für Risiko und Experimente.
Planen Sie, wo „Mad Men“ sich in einigen Wochen nach sieben Staffeln vom Bildschirm verabschiedet, trotzdem auch mal wieder, für das Kinos zu arbeiten?
Das habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht entschieden. Ich freue mich erst einmal darauf, der Welt die letzten Folgen zu präsentieren. Und habe ansonsten mit Stolz, Freude und natürlich auch Bedauern den Laden zugemacht und mit dem Thema „Mad Men“ abgeschlossen. Insgesamt war ich 14 Jahre mit der Serie beschäftigt, da ging schon eine Ära zu Ende. Jetzt muss ich erst einmal Luft holen. Nach 92 Stunden „Mad Men“ ist mein Tank momentan leer. Sobald er wieder voll ist, werde ich sehen, welche Geschichte ich als Nächstes erzählen will. Von der wird es abhängen, in welchem Format das passiert.