Die Proteste gegen den Papst sind ein Zeichen dafür, dass die Religion in den Hintergrund gedrängt wird. In Deutschland ist der Widerstand geringer.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Münster - Proteste gegen den Papst spiegelten die Säkularisierung. In Deutschland sei der Widerstand geringer, meint Detlef Pollack.

 

Herr Pollack, Proteste haben Benedikts Besuch in Spanien begleitet. Hat Sie das überrascht?

Ein wenig schon - zumindest im Blick auf die Heftigkeit. Man kann das Geschehen aber erklären. Es gibt eine starke antiklerikale Strömung in Spanien seit Mitte der 70er Jahre.

Woher rührt diese Stimmung?

Die Proteste richten sich gegen die Verquickung von Staat und Kirche. Die katholische Kirche war mit dem Staat auch in der Zeit des Franco-Regimes eng verbunden. Das haben die Spanier nicht vergessen.

Das ist Geschichte. Was ist der aktuelle Anlass?

Der Protest hat viel mit der schlechten wirtschaftlichen Lage der Jugend zu tun. Die ist zu 40 Prozent arbeitslos und fragt sich, warum man Geld für den Papst ausgibt und nicht für materielle Verbesserungen einsetzt. Dazu kommt der laizistische Kurs der Regierung Zapatero. Die Familienplanung wurde liberalisiert, die Homo-Ehe eingeführt. Beides hat zu Spannungen mit der katholischen Kirche geführt.

Schwinden die Bindungskräfte der Kirche?

Das ist ein wichtiger Punkt. Spanien gehörte einst zu den hochkatholischen Ländern wie Irland, Italien oder Portugal. Es hat in den letzten 30 Jahren jedoch einen dramatischen Säkularisierungsschub durchgemacht. Der Glaube an Gott wird nur noch von 50 Prozent bejaht. Auch der Kirchgang ist stark zurückgegangen.

Befeuert der konservative Papst die Proteste?

Das müsste man näher untersuchen. Allerdings ist die spanische Jugend relativ liberal gesinnt, was die Opposition zum Papst verschärft.

Auf der anderen Seite feiern Hunderttausende von Jugendlichen das Kirchenoberhaupt. Ist das ein Widerspruch?

Die Motive der Teilnehmer am Weltjugendtag sind ganz verschieden. Viele suchen die Gemeinschaft, wollen Jugendliche aus anderen Ländern begegnen, Erfahrungen austauschen, tanzen, singen und feiern. Manche möchten Spanien erleben. Viele hoffen auch auf eine Stärkung im Glauben. Eine beachtliche Zahl verehrt auch den Papst.

Ende September kommt der Papst nach Deutschland. Rechnen Sie mit ähnlichen Protesten?

Prognosen sind da schwer. Der humanistische Verband, die Giordano-Bruno-Stiftung und einige Lesben- und Schwulenvereinigungen wollen Proteste organisieren. Ich nehme an, der Nährboden für solche Initiativen ist hierzulande geringer als in Spanien und die Tendenz zur Gewalt schwächer.

Gibt es weitere Unterschiede?

Die Finanzierung der Papstvisite steht hier zwar auch in der Kritik, aber es wird mehr um die Abtreibungsfrage gehen, die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und um die Forderung, Staat und Kirche stärker zu trennen.

Haben die Laizisten auch hier an Boden gewonnen?

Seit einigen Jahren gibt es einen zwar noch schwachen, aber durchaus bemerkbaren Anstieg kirchenkritischer Gruppen. Das ist eine Gegenbewegung, eine Reaktion darauf, dass die Religion in den Medien, in der Öffentlichkeit stärker vorkommt.

Könnte die katholische Kirche Säkularisierungstendenzen effektiv begegnen?

Wenn sie sich stärker zur Welt öffnet und auch die Verkündigung dialogischer anlegt, würde sie viele kirchenkritische Katholiken stärker an sich binden.

Der religiöse Wandel

Forschungsverbund: Der Religionssoziologe Detlef Pollack gehört zu den 200 Wissenschaftlern aus elf Ländern des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster. Dieser untersucht das Verhältnis von Religion und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Der 55-Jährige Hochschullehrer Pollack beschäftigt sich vor allem mit dem religiösen Wandel in der Moderne.