Der Fotograf Peter Lindbergh spricht im Interview über die vielen Gesichter der Schönheit und seine Leidenschaft für Frauen.

Stuttgart - Er machte Schönheiten zu Ikonen und gilt selbst als lebende Legende. Im Interview erzählt der deutsche Fotograf Peter Lindbergh, wie es dazu kam – und was er von der heutigen Szene hält.

 
Herr Lindbergh, Sie haben Ende der 80er Jahre den Mythos um die Supermodels begründet. Was halten Sie eigentlich von Instagram-Models?
Instagram ist das allerwahnsinnigste Instrument, das man sich vorstellen kann. Das wird von Leuten benutzt, um sich darzustellen. Das ist einerseits für die gut, die nichts anderes mitbringen können, andererseits auch für die perfekt, die etwas mitzuteilen haben.
Keine Kritik? Etwa, dass heute für Modelkarrieren ein Instagram-Account reicht?
Ich finde das total okay. Toll für diejenigen, die damit Erfolg haben, warum nicht? Ich schaue doch auf Instagram ohnehin nur das an, was mir gefällt. Der Rest interessiert mich nicht. Wenn ich allen Fashion-Teenies folgen würde, wäre mir das zu viel.

Jeans auf dem Titel, ein Tabubruch

Inwieweit werden die Mode und die Modefotografie von Instagram beeinflusst?
Die Entwicklung der Mode wird dadurch natürlich immer schneller. Kollektionen werden sofort bekannt, weil alles sofort zu sehen ist. Das macht es für Designer vielleicht schwieriger, aber die Styles, der Mix, das gefällt mir. Für mich, für meine Fotografie wird es aber nur dann interessant, wenn ich das gebrauchen kann. Es gehört zu den Vorzügen des Älterwerdens, dass man sich ein paar Sachen aussuchen kann.
Sie haben schon vor 30 Jahren Couture mit Jeans gemixt, etwa auf dem ersten Titel der US-„Vogue“ unter der Regie von Anna Wintour. Eine Revolution?
Es war schon ein legendäres Foto. Jeans auf dem Titel, ein Tabubruch. Aber Anna hatte den Mut, dieses eigentlich zufällig entstandene Foto als Cover zu nehmen. Mir hat es gut gefallen, ich zeigte es ihr, und sie entschied sich für die Kombination Straße und Couture.
Und dann haben Sie sich zerstritten.
Wir waren nicht nur zerstritten, das fühlte sich an wie Scheidung. Aber das hat sich längst geklärt. Anna hat mir übel genommen, dass ich von der „Vogue“ zur Konkurrenz, zu „Harper’s Bazaar“, gegangen bin.
Haben Sie ihr Ihren Erfolg zu verdanken?
Ich sage nur, dass auf einen Schlag ein paar Menschen berühmt wurden. Soll ich die Geschichte wirklich noch mal erzählen?

Konzentration auf das Wesentliche

Unbedingt!
Ich bekam einen Auftrag vom Condé-Nast-Papst aus New York. Er wollte mich für ein Cover engagieren, aber ich konnte mir das nicht vorstellen. Immer die gleichen Gesichter, alle schrecklich lackiert, Handtäschchen, alles furchtbar. Er war irritiert, als ich das sagte, gab mir den Auftrag aber trotzdem und sagte, ich solle mir die Models aussuchen. Ich suchte mit einer Stylistin die Mädchen, machte das Bild, aber Wintours Vorgängerin wollte es nicht. Sie ist ausgerastet. Sechs Monate später kam dann Anna und wählte es in die 100-Jahr-Jubiläumsausgabe als wichtigstes Bild.
Was ist das Besondere an dem Bild?
Die Mädchen hatten nur weiße Hemden an. Den Mädchen wurde fast alles weggenommen, was sonst wichtig war in Modestrecken oder Kampagnen. Kaum Make-up, kein großes Theater. Für mich war es überfällig, die Modefotografie auf die wesentliche Aussage zu konzentrieren.
Hat sich das Schönheitsideal geändert?
Nicht für mich. Schönheit entscheide ich von Fall zu Fall. Eine Schönheit im klassischen Sinne, mit symmetrischen Gesichtszügen, finde ich eher langweilig.
Sind Frauen oder Männer schöner?
Frauen! Ich liebe Frauen! Wenn ich Frau wäre, wäre ich Lesbe, ich könnte mit keinem Mann zusammen sein.

Vom Jugendwahn befallene Damen

Waren Sie in Ihre Supermodels verliebt?
Ich war in alle verliebt, für welche hätte ich mich entscheiden sollen? Das war und ist wie eine Familie.
Heute sind die Models viel dünner. Finden Sie das schön?
Nein. Aber das hängt damit zusammen, dass früher die Mädchen von Fotografen entdeckt wurden, heute von Headhuntern, die sie für Defilees zurichten.
Und wenn Sie bis zur Entstellung operierte Schönheiten sehen – etwa Uma Thurman ?
Uma? Die ist wie meine Schwester, ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sie sich nicht hat operieren lassen. Auf den Fotos sieht sie zum Teil schlimm aus. Wenn ich die Ergebnisse von manchen Photoshop-Doktoren sehe, kommen mir die Tränen.
Sie fotografieren gerne alternde Gesichter?
Natürlich. Die schönsten Gesichter waren für mich Jeanne Moreau und meine Freundin Pina Bausch. Das waren ja eher außergewöhnliche Gesichter und gar nicht im klassischen Sinne schön. Vom Jugendwahn befallene Damen tun mir leid. Weil ja auch alle dasselbe machen lassen. Kissen in die Wangen, aufgeblasene Lippen, nach hinten gezogene Augen. Dann sehen alle gleich aus. Manche kriegen das hin, aber das sind die wenigsten. Der Trick ist, mit 25 Jahren anzufangen. Meine Supermodels waren da schlauer: Die haben früh begonnen und alle zehn Jahre Kleinigkeiten korrigiert. Ich kenne einen Schönheitschirurgen, der erzählt mir Geschichten . . . Frauen, die mit 62 zu ihm kommen und ein Foto von der 18-jährigen Kate Moss dabeihaben und allen Ernstes sagen: So will ich aussehen.