Die Drei-Prozent-Hürde bei der deutschen Europawahl ist verfassungswidrig, das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kritisiert das Urteil. Es berücksichtige nicht die neue Rolle des Straßburger Parlaments.

Straßburg - Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kritisiert das Karlsruher Urteil. Es berücksichtige nicht die neue Rolle des Straßburger Parlaments.

 
Herr Ferber, wie enttäuscht sind Sie über das Urteil? Immerhin bekommen Sie gesagt, dass das Europaparlament kein echtes Parlament ist, da es keine Regierung stützt, und daher keine die Mehrheitsbildung erleichternde Hürde braucht?
Als Demokrat akzeptiere ich das Urteil. Enttäuscht bin ich dennoch. Denn es ist in der Tat eine Kernaussage, dass das Europäische Parlament im Vergleich zum Bundestag kein gleichwertiges Parlament ist und Regeln, die in Berlin selbstverständlich akzeptiert sind, nicht zur Anwendung kommen müssen. Wenn Sie aber Aufgaben, Funktionsweisen und Zuständigkeiten vergleichen, kann ich keinen Unterschied zum Bundestag erkennen.
Mehrheiten im Europaparlament bilden sich doch eher entlang der Sache und nicht entlang fester Koalitionen. Verweist das Bundesverfassungsgericht da nicht zu Recht darauf, dass gar keine europäische Regierung getragen werden muss?
Da hat Karlsruhe außer acht gelassen, dass der Lissabon-Vertrag das Europaparlament verpflichtet, für die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten quasi eine Kanzlermehrheit zu stellen. Und ich glaube nicht, dass sich der Nachfolger von José Manuel Barroso gerne auf eine Unterstützung von Links- oder Rechtsradikalen stützen will.
Man könnte doch auch argumentieren, dass die Zusammensetzung zumindest der deutschen Abgeordneten künftig besser den Wählerwillen abbilden wird und Europa ein bisschen demokratischer wird?
Das Demokratiedefizit, das Karlsruhe anprangert, liegt in den EU-Verträgen begründet und müsste dort geändert werden. Sie heilen es aber nicht dadurch, dass sie in Deutschland Parteien Zugang zum Europaparlament gewähren, die in keinem anderen EU-Staat eine Chance hätten gewählt zu werden.
Welche praktischen Auswirkungen erwarten Sie?
Die Zahl der Abgeordneten, die Verantwortung übernehmen und gestalten wollen, nimmt ab. Die Zahl derer, die nur kritisieren, steigt. Die deutsche Stimme im nächsten Parlament wird so geschwächt.
Sind die Auswirkungen wirklich so dramatisch? Es geht doch um nur ganz wenige Abgeordnete.
Hätte das Urteil schon bei der Wahl 2009 gegolten, wären acht Abgeordnete kleiner Parteien ins Europaparlament eingezogen – unter anderem von den Republikanern, der Tierschutzpartei oder der ÖDP. Ich kann mir nicht vorstellen, in welcher einflussreichen Fraktion sie eine Heimat finden könnten.