Nikolas Stihl, Miteigner des Sägenherstellers, glaubt, dass die Pläne von Finanzminister Wolfgang Schäuble bei der Erbschaftsteuer eine Verkaufswelle auslösen können.

Waiblingen – - Klartext ist in der Familie Stihl schon immer die bevorzugte Form der Ansprache gewesen. Das hat Hans Peter Stihl, der frühere Chef des Waiblinger Motorsägenherstellers, so gehalten. Sein Sohn Nikolas hält mit seiner Meinung genauso wenig hinter dem Berg und stellt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Interview beim Thema Erbschaftsteuer ein ziemlich schlechtes Zeugnis aus.
Herr Stihl, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat skizziert, wie er sich eine Erbschaftsteuerreform nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2014 vorstellt. Das stößt bei vielen Familienunternehmern auf Kritik; auch bei Ihnen?
Eindeutig. Wenn die Vorstellungen so umgesetzt werden, dann müssen wir in absehbarer Zeit mit einem Umbau unserer Industrielandschaft in Deutschland rechnen – weg von dem international so erfolgreichen Modell des Mittelstands mit seinen Familienunternehmen, hin zu einem mehr amerikanisch geprägten System. Wenn die Reform so kommt, wie es in den Eckpunkten des Bundesfinanzministeriums steht, dann wird es für Familienunternehmen sehr viel attraktiver sein, den Betrieb vor dem Erbfall zu verkaufen. Ich rechne mit einer Verkaufswelle.
Das Bundesfinanzministerium sagt, es reagiere lediglich auf die Auflagen des Gerichts. Danach soll bei großen Vermögen geprüft werden, ob die Erben in der Lage sind, die Erbschaftsteuer zu bezahlen.
Das sehen sehr viele Fachleute und ich völlig anders. Kriterien, die zum Beispiel berücksichtigen, dass es für viele Gesellschafter in Familienunternehmen gar nicht möglich ist, Geld für Steuerzahlungen zu entnehmen, fehlen völlig. In Gesellschafterverträgen gibt es nahezu überall massive Entnahmebeschränkungen. Das hat im Übrigen dazu beigetragen, dass die deutschen Unternehmen 2009 eine hohe Eigenkapitalbasis hatten und so gut durch die Krise gekommen sind. Dafür werden sie jetzt bestraft.
Lässt sich in Familienunternehmen stets trennscharf zwischen betrieblich und privat unterscheiden?
Nein. Ich kenne viele Unternehmen, die das gesamte Geld im Unternehmen gelassen haben, sodass die Betriebe nach der Krise wieder durchstarten konnten. Die haben auch mit erheblichen privaten Mitteln ihre Belegschaften gehalten. Sie sind in Vorleistung gegangen und haben eben nicht die Investitionen oder die Ausgaben für Forschung und Entwicklung gekürzt, wie das in börsennotierten Konzernen bisweilen gemacht wird.
Das Bundesfinanzministerium will bei einem Unternehmenswert von 20 Millionen Euro die Grenze zu einem großen Unternehmen ziehen, das nur unter verschärften Bedingungen verschont werden soll. Ist ein Wert von 20 Millionen Euro gleichbedeutend mit einem Großunternehmen?
Nimmt man das von der Finanzverwaltung üblicherweise zu Grunde gelegte Modell der Ertragswertermittlung, also Jahresergebnis mal 18,2, dann reden wir von einem Jahresergebnis von knapp über einer Million Euro. Da sind wir gewiss nicht bei Großunternehmen. Wer als größeres Unternehmen ein Jahresergebnis von 1,1 Millionen Euro hat, der steckt mit großer Sicherheit mitten in der Krise. In Wirklichkeit reden wir hier von Kleinunternehmen. Bundesfinanzminister Schäuble sagt, dass 98 Prozent der Unternehmen nicht betroffen wären; das mag sein. Aber es sind mindestens 10 000 Unternehmen betroffen, die für 20 Prozent der deutschen Arbeitsplätze stehen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht schon 2005 einen Unternehmenswert von 100 Millionen Euro als akzeptable Grenze genannt. Nach heutigen Verhältnissen wären das 120 Millionen Euro.
Die Richter sagen, dass eine Befreiung bei Großunternehmen nicht ohne Voraussetzungen erfolgen dürfe.
Da ist auch völlig richtig. Die vom Gericht als akzeptabel bezeichneten Grenzen werden aber deutlich unterschritten. Es geht hier um Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Der Bundesfinanzminister hat Ihrer Zeitung im Interview gesagt, dass er sich nicht wieder vor dem Bundesverfassungsgericht einfinden möchte und reizt deshalb seine Möglichkeiten bei Weitem nicht aus. Ärgerlich finde ich auch seinen Hinweis, die deutschen Unternehmen sollten mal Richtung USA schauen und wegen der dort üblichen Erbschaftsteuer froh sein, nicht dort angesiedelt zu sein. Der Vergleich springt ziemlich kurz. Gerade die USA beneiden uns um unseren Mittelstand; da gibt es das Lehnwort „German Mittelstand“, und so etwas hätten die Amerikaner gerne. Die Steuergesetze haben es aber attraktiver gemacht, das Unternehmen zu verkaufen als es zu vererben. Ab einer gewissen Größe gibt es in den USA kaum noch Familienunternehmen, die über mehrere Generationen bestehen.
Wie kann diese sogenannte Bedürfnisprüfung akzeptabel ausgestaltet werden?
Zunächst einmal hat Karlsruhe überhaupt nicht verlangt, dass das Privatvermögen einbezogen wird; was das Bundesfinanzministerium plant, ist die Wiedereinführung der Vermögensteuer durch die Hintertüre. Karlsruhe fordert lediglich, dass es beim Verwaltungsvermögen – in dem ja oft privates Vermögen steckt – keine steuerschädlichen Gestaltungsmöglichkeiten mehr gibt. Dem kann man sicher nachkommen. Eine Möglichkeit, auch Erben zu besteuern, die das geforderte Geld nicht entnehmen können, ist eine Stundung oder Staffelung. Das kann verzinslich sein oder unverzinslich, das sei dem Bundesfinanzministerium überlassen. Anstatt die Eigentümer zum Verkauf zu zwingen, wäre es auf jeden Fall sinnvoll, die Steuerschuld auf irgendeine Art bezahlbar zu machen.
Offenbar will das Bundesfinanzministerium das Steueraufkommen erhöhen.
Das kann man tun, sollte aber die politischen Folgen bedenken. Jede Steuer entfaltet – gewollt oder ungewollt – eine Lenkungswirkung; die Unternehmenslandschaft in Deutschland würde sich nachhaltig verändern. Das womöglich höhere Erbschaftsteueraufkommen könnte durch einen Rückgang anderer Steuereinnahmen ganz schnell kompensiert oder gar überkompensiert werden.
Was halten Sie von einer Steuer mit niedrigem Steuersatz, die weitgehend ohne Ausnahme von allen gezahlt wird?
Das halte ich für bedenkenswert. Ich habe allerdings keine große Hoffnung, dass das ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Die Verwaltung müsste mit einer Vervielfachung der Steuerfälle rechnen, weil ja in jedem einzelnen Fall zunächst einmal eine Steuererklärung abgegeben werden müsste. Das ist sicher nicht erwünscht. Trotzdem ist die Idee gut. Wir neigen ja in Deutschland dazu, grundsätzlich erst einmal relativ hohe Steuersätze festzulegen und die unerwünschten Auswirkungen dann durch eine Vielzahl von Ausnahmen zu bekämpfen. Das deutsche Steuerrecht gehört nicht ohne Grund zu den weltweit kompliziertesten.
Hat es Folgen, wenn der Erhalt von Arbeitsplätzen keinen Steuervorteil mehr bringt?
Stihl würde da gewiss nicht anders handeln. Zwei Ausnahmen würde ich zulassen: Das sprichwörtliche kleine Häuschen sollte weiterhin steuerfrei vererbt werden können. Und die Möglichkeit der Vollverschonung sollte bestehen, wenn über einen gewissen Zeitraum die Zahl der Arbeitsplätze oder auch die Lohnsumme gleich bleibt. Die Regelung hat sich segensreich ausgewirkt, sie hat durchaus zum deutschen Beschäftigungswunder mit beigetragen.
Wie sind Sie selbst und die Firma Stihl von den Plänen betroffen?
Mir geht es vor allem um die ordnungspolitische Dimension der Erbschaftssteuerreform. Gott sei Dank haben wir all die diskutierten Überlegungen schon vorher angestellt. Die Übertragung der Anteile an meine Kinder ist zu einem großen Teil bereits zu den alten Richtlinien erfolgt, weil wir hier ein gesundes Misstrauen gegenüber der Politik hatten – wie sich leider herausgestellt hat, zu Recht. Das gilt auch für die Mitgesellschafter. Die Familie Stihl kann der Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten gelassen entgegen sehen. Da sind wir sicher nicht die einzigen, was sich aus der Summe der Übertragungen der Jahre 2013 und 2014 ablesen lässt. Deshalb muss man auch die Langzeitwirkung dessen, was jetzt beschlossen wird, beachten. Das wird seine Wirkung erst weit in der Zukunft entfalten und womöglich zu Standortüberlegungen führen. Auch innerhalb der EU gibt es einen Steuerwettbewerb, der sicher nicht so rasch enden wird.