Was man in der Hamburger Schule beigebracht bekommt, langt für ein ganzes Musikerleben: fein hat dies der Ex-Blumfeld-Kopf Jochen Distelmeyer in der Schorndorfer Manufaktur gezeigt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Jochen Distelmeyer ist eine Art Stammgast in Schorndorf. Sechs Mal in den vergangenen 17 Jahren, wir haben’s nachgeschlagen, ist er solo oder mit Blumfeld in der Manufaktur beziehungsweise der Künkelin-Halle aufgetreten. Geändert hat sich allerdings nicht viel – und das sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich positiv bemerkt. Klar, alle Beteiligten sind ein wenig reifer geworden (vom Altersschnitt her ähnelt das Publikum am Samstagabend in der Manufaktur dem 56-jährigen Musiker), und dass die großen Zeiten seiner Band lange Vergangenheit sind sowie das Interesse an Qualitätsmusik in Deutschland ganz allgemein gesunken ist, manifestiert sich natürlich auch am Publikumszuspruch. Doch der Club ist nach wie vor ordentlich gefüllt, und Stammgast Distelmeyer ist sich selbst segensreicherweise erstaunlich treu geblieben.

 

Was bewährt ist, darf bleiben

Der gebürtige Bielefelder, Hamburger „Schüler“ und jetzige Wahlberliner ist trotz des Umstands, dass man ihn gewiss als eine prägende Gestalt der deutschen Independentkultur bezeichnen darf, noch immer der komplette Gegenentwurf eines Rockstars. Artig, mit einer fast schon verspielt kindlich wirkenden Begeisterung steht er auf der Bühne, er bedient sich in seinen Dankesgesten häufig einer fast schon ausgestorben gewähnten Jugendsprache und wirkt in seinem braven Oberhemd zu Anzug und Seitenscheitel wie alles, bloß nicht wie ein lässiger Berufsmusiker.

Lässig sind jedoch nicht nur seine Anmoderationen, die bereits erahnen lassen, welch ein kluger Songwritergeist Distelmeyer ist und aus welchen Quellen sich die Ideen für seine Lieder speisen. So gelassen wie unaufdringlich vorgetragen ist und bleibt auch sein außergewöhnlich feinsinniges Gitarrenspiel, das Distelmeyer - diesmal solo und nur mit einer Handvoll Akustikgitarren unterwegs – zu bieten hat. Herausragend sind nach wie vor die Texte, seien es die aus den Blumfeldstücken oder seinen eigenen Songs, die in ihrer lyrischen Intensität und ästhetischen Gestaltungshöhe nach wie vor eine Benchmark in der deutschsprachigen Popmusik darstellen. Und bezaubernd unaufgeregt gerät ihm das Zusammenspiel aus alledem.

So geht ein Potpourri

Anderthalb Stunden lang spielt sich Jochen Distelmeyer so durch ein Repertoire aus Blumfeld-Klassikern sowie eigenen Stücken und würzt das Ganze mit ein paar Coverversionen. Diese stammen von Bob Dylan, den Beatles sowie Britney Spears (!), was allein schon die Bandbreite der alles andere als engstirnig gewählten Einflüsse zeigt, aus denen sich sein Schaffen speist, zu denen aber auch Musiker wie Roy Orbison zählen, wie er erzählt und sogleich dann auch plastisch vorführt.

Und so könnte man einerseits sagen, dass Distelmeyers große Kunst darin liegt, das vermeintlich Peinliche in hippes Tun zu übersetzen, wie sich zum Beispiel selbst in dem für gewöhnlich belächelten Singalong mit dem Publikum zeigt. Jochen Distelmeyers wahre Größe liegt jedoch darin, seinen eminenten Beitrag, den er vor weit über dreißig Jahren als maßgeblicher Mitgestalter der so genannten Hamburger Schule zur deutschen Musik geleistet hat, blendend in die Jetztzeit herübergerettet zu haben. Hut ab für ein feines Konzert und eine wunderbare Lebensleistung.