Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Ende April 2009 jedoch stand Heynckes in München an der Säbener Straße wieder auf dem Trainingsplatz. Es blieben ihm fünf Spieltage, um eine von Jürgen Klinsmanns übermotivierter Planlosregentschaft verunsicherte Mannschaft noch auf Platz Zwei zu führen. Heynckes schaffte das, indem er die Bayern nach außen starkredete, während er drinnen akribisch am Fußballselbstverständlichkeits Klein-Klein arbeitete. Er kam als "Nothelfer" und schied als "ewiger Freund des Hauses", wie Uli Hoeneß betonte. Der Vorhang zu - und alle Türen offen. Der FC Bayern leistete sich Louis van Gaal, Heynckes ging zu Leverkusen. Beides waren Zwischenlösungen, denn man ahnte: Josef Heynckes und der FC Bayern München würden noch einmal zusammenkommen, ein letztes Mal: Im Sommer 2011 zog der große Waldgänger Heynckes mit seiner Frau in die Münchner Innenstadt.

 

Wie Mönchengladbach, was tatsächlich bis 1960 offiziell Münchengladbach geschrieben wurde, ihm Geburtsort war, ist München eine Stadt fürs Leben geworden. Und mehr noch der Klub, der die Stadt nun mal mitregiert. Wie ernst er diese Beziehung immer meinte, hat Jupp Heynckes - trotzt einer vorzeitigen Entlassung Anfang der neunziger Jahre bei Bayern - in Spanien dokumentiert, als er den Spielern von Real Madrid erklärte, Madrid sei groß, aber Bayern sei größer, "mas grande". Heynckes meinte aber gar nicht die Erfolge, wie er rückblickend erklärt, nicht Geld und Ruhm. Er meinte ein Gefühl: Nicht "mir san mir", das wäre ihm zu provinziell. Mehr: "Wir sind für dich da", wohl verstanden eine Art Familienformel.

Heynckes' waren zehn Kinder daheim, neun Jungen, ein Mädchen als Nesthäkchen, und Jupp der zweitjüngste Sohn eines Schmieds. Ist es Zufall, dass er ausgerechnet am 9. Mai 1945 geboren wird, als Hitlers Deutschland gerade kapituliert hat? Obwohl Stürmer von Anfang an bei Grün-Weiß Holt und später bei Gladbach, umgibt Jupp Heynckes' Leben bis heute eine seltsame Form von Defensive und Vorsicht. Anders als der Waise Berti Vogts, der schnell das unerbittliche Austeilen und Zurückkeilen lernt, anders aber auch als das vergleichsweise verwöhnte Einzelkind Günter Netzer, der als Profi bald gekonnt sein Diventum zu inszenieren beginnt, kam Heynckes aus der Tiefe des bäurisch-proletarischen Raumes. Zwischen seiner Heimat Holt und dem Stadtteil Eicken, wo die Borussia lange spielte, liegen sieben Kilometer und die ein oder andere Welt.

Jupp wurde der ältere Bruder, den Uli nicht hatte

Umso näher sind sich über die Jahre hinweg die ursprünglichen Gegner auf dem Platz Jupp Heynckes und Uli Hoeneß gekommen. Beide stammen aus bescheidenen, grundkatholischen Verhältnissen, und wiewohl beim Metzgersohn Uli Hoeneß das Fleisch nie knapp wurde, von dem sie bei Heynckes daheim nur träumen konnten, stand auch der Schwabe Hoeneß "wochenlang mit dem Fahrrad vor dem Sport-Sohn in Ulm" und hatte einen Flutlichtball im Auge, für 34 Mark.

Er kam weit rum: Nach vier Jahren und zwei Meisterschaften in München folgten in den Neunzigern die Stationen Bilbao (wo er den Uefa-Cup erreichte), Frankfurt, Teneriffa (ebenfalls Uefa-Cup), Madrid (Champions-League-Sieg), Lissabon und Gelsenkirchen. In Deutschland hatte er nie mehr das ganz große Glück. Bei der Frankfurter Eintracht 1995 scheiterte Heynckes an einer Generation verzogener Spieler, auf Schalke 2004 am alten Macht- und Machoknochen Rudi Assauer, der diktatorisch befand, dass Heynckes' Ansichten "old school" seien, von gestern.

Auch das letzte Engagement in Mönchengladbach endete disparat: Heynckes fiel in der Saison 2006/2007 mit der Mannschaft vor der Winterpause auf die Abstiegsränge zurück. Und Gladbach war keine aufstrebende Stadt mehr wie in den Siebzigern, sondern eine Kommune am Rande der Insolvenz mit zwanzig Prozent Arbeitslosen. Heynckes bekam Morddrohungen. Der Trainer wählte die ihm gemäße, hochanständige Abschlussvariante. Er verzichtete auf sein Geld, wusch den Dienstwagen und parkte ihn außerhalb der Geschäftszeiten diskret vor dem neu errichteten Borussen-Park an der Hennes-Weisweiler-Allee. Vollgetankt. Damit schien Josef Heynckes aus dem Bewusstsein der fußballinteressierten Öffentlichkeit verschwunden. Er war ein Mann von sechzig Jahren mit knapp 350 Bundesligaspielen in den Knochen, war Welt- und Europameister, Pokal- und Uefapokalsieger gewesen, viermal deutscher Meister und zweimal Bundesligatorschützenkönig. Jupp Heynckes würde, wenn die Knie repariert wären, mit seiner Jugendliebe und langjährigen Ehefrau Iris alt werden, seine Ruhe haben, ab und zu die einzige Tochter in Hamburg besuchen und mit dem Hund an den niederrheinischen Pappeln entlangpilgern. Dachten alle.

Ewiger Freund des Hauses FC Bayern

Ende April 2009 jedoch stand Heynckes in München an der Säbener Straße wieder auf dem Trainingsplatz. Es blieben ihm fünf Spieltage, um eine von Jürgen Klinsmanns übermotivierter Planlosregentschaft verunsicherte Mannschaft noch auf Platz Zwei zu führen. Heynckes schaffte das, indem er die Bayern nach außen starkredete, während er drinnen akribisch am Fußballselbstverständlichkeits Klein-Klein arbeitete. Er kam als "Nothelfer" und schied als "ewiger Freund des Hauses", wie Uli Hoeneß betonte. Der Vorhang zu - und alle Türen offen. Der FC Bayern leistete sich Louis van Gaal, Heynckes ging zu Leverkusen. Beides waren Zwischenlösungen, denn man ahnte: Josef Heynckes und der FC Bayern München würden noch einmal zusammenkommen, ein letztes Mal: Im Sommer 2011 zog der große Waldgänger Heynckes mit seiner Frau in die Münchner Innenstadt.

Wie Mönchengladbach, was tatsächlich bis 1960 offiziell Münchengladbach geschrieben wurde, ihm Geburtsort war, ist München eine Stadt fürs Leben geworden. Und mehr noch der Klub, der die Stadt nun mal mitregiert. Wie ernst er diese Beziehung immer meinte, hat Jupp Heynckes - trotzt einer vorzeitigen Entlassung Anfang der neunziger Jahre bei Bayern - in Spanien dokumentiert, als er den Spielern von Real Madrid erklärte, Madrid sei groß, aber Bayern sei größer, "mas grande". Heynckes meinte aber gar nicht die Erfolge, wie er rückblickend erklärt, nicht Geld und Ruhm. Er meinte ein Gefühl: Nicht "mir san mir", das wäre ihm zu provinziell. Mehr: "Wir sind für dich da", wohl verstanden eine Art Familienformel.

Heynckes' waren zehn Kinder daheim, neun Jungen, ein Mädchen als Nesthäkchen, und Jupp der zweitjüngste Sohn eines Schmieds. Ist es Zufall, dass er ausgerechnet am 9. Mai 1945 geboren wird, als Hitlers Deutschland gerade kapituliert hat? Obwohl Stürmer von Anfang an bei Grün-Weiß Holt und später bei Gladbach, umgibt Jupp Heynckes' Leben bis heute eine seltsame Form von Defensive und Vorsicht. Anders als der Waise Berti Vogts, der schnell das unerbittliche Austeilen und Zurückkeilen lernt, anders aber auch als das vergleichsweise verwöhnte Einzelkind Günter Netzer, der als Profi bald gekonnt sein Diventum zu inszenieren beginnt, kam Heynckes aus der Tiefe des bäurisch-proletarischen Raumes. Zwischen seiner Heimat Holt und dem Stadtteil Eicken, wo die Borussia lange spielte, liegen sieben Kilometer und die ein oder andere Welt.

Jupp wurde der ältere Bruder, den Uli nicht hatte

Umso näher sind sich über die Jahre hinweg die ursprünglichen Gegner auf dem Platz Jupp Heynckes und Uli Hoeneß gekommen. Beide stammen aus bescheidenen, grundkatholischen Verhältnissen, und wiewohl beim Metzgersohn Uli Hoeneß das Fleisch nie knapp wurde, von dem sie bei Heynckes daheim nur träumen konnten, stand auch der Schwabe Hoeneß "wochenlang mit dem Fahrrad vor dem Sport-Sohn in Ulm" und hatte einen Flutlichtball im Auge, für 34 Mark.

Jupp wurde ein wenig der ältere Bruder, den Uli nicht hatte, und Hoeneß der jüngere Bruder, der Heynckes manchmal gefehlt haben dürfte. So hielt die beiden Europameister von 1972 schon in der ersten Münchner Zeit ein irgendwie geheimnisvolles Band zusammen. Man muss - obwohl es mitunter peinigend ist - nur noch einmal anschauen, wie sich der Kleinere für den Größeren in die Bresche wirft, als das ZDF-Sportstudio im Mai 1989 eine Art von verbalem Boxkampf mit Sekundanten inszeniert. Zur Selbstdarstellung eingeladen ist der Kölner Trainer Christoph Daum, der Heynckes für "blutleer" und trostlos "langweilig" hält. Ihm zur Seite sitzt Udo Lattek - Heynckes Vorgänger bei Gladbach und in München und Hoeneß' alter Chef. Lattek schürt diabolisch das Feuer und genießt. Daum wird ausfällig. Heynckes schweigt mit großen Augen, wie ein Hase in Angst. Und Hoeneß? Ereifert sich für den Freund, als ginge es ums eigene, um sein Leben.

Förderer der jungen Leute

Trotz allem ist es Kalkül, das Bayern zum dritten Mal auf Jupp Heynckes zukommen ließ. Hoeneß setzt auf Josef, den Vermehrer, der die Spieler - anders als van Gaal - nicht nur als Material betrachtet. Vorne in der Liga, vorne dabei international - woran auch die kalkulierte Niederlage gegen Manchester City nichts ändert: Heynckes, der Doyen der Bundesligatrainer, erscheint als die größtmögliche lebende Quersumme aus allen Branchenexperimenten. Christoph Daum, der sich eh rausgekokst hatte aus der deutschen Gefühlsfußballmitte, trainiert in Brügge. Robin Dutt kämpft in Leverkusen gegen den Kompetenzschatten von Heynckes. Und auch ein in München länger geachteter Coach wie Felix Magath verkommt zur Karikatur seines Vorbilds Ernst Happel, dem Grantler. Heynckes hingegen, der immer ein Förderer junger, tendenziell ein wenig unsicherer junger Leute war, praktiziert mit nie nachlassendem Glauben an Disziplin und Spielwitz unbeirrt auf möglichst humane Art. Er will verstanden werden, respektiert sein, und, wenn es geht, "noch einen draufsetzen", wenn es für Bayern zum Champions-League-Finale daheim in der Arena käme.

Fachlich immer auf dem neuesten Stand (und unterstützt vom hervorragenden Co-Trainer Peter Hermann), ist Heynckes auf subtilere Art und Weise am Spiel immer noch genauso emotional beteiligt wie der eruptive Selbstdarsteller Jürgen Klopp. Dann kann der Alte, äußerlich mild geworden, innerlich so wild wie früher, in der neunzigsten Minute noch an der Außenlinie aufstampfen, wenn ein Pass misslingt: einmal Fohlen, immer Pferd. Und vergessen ist, wie erwähnt, seine Sache nicht.

Hoeneß' und Heynckes' Gipfel im Geiste: München-Gladbach

Der Verein gönnt ihm Pausen. Heynckes muss beispielsweise während Länderspielwochen nicht auf dem Platz stehen, "schließlich ist er keine 35 mehr", wie Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick freundlich anmerkt. Hörwick ist mit Ottmar Hitzfeld durch die Betongänge vom Camp Nou in Barcelona gelaufen, als Bayern 1999 den Champions-League-Sieg gegen ManU herschenkte. Und er ist mit ihm die Treppen im Giuseppe-Meazza hinauf gehüpft, als der FCB zum letzten Mal den ganz großen Pokal holte. Das war 2001.

Jupp Heynckes liebt die Berge hinter München auf eine Art, wie sie nur jemand mögen kann, der auf dem Niveau des Meeresspiegels groß geworden ist. Er mag die Dörfer hinter der Stadt, die Stille, und überhaupt lebt er lieber freundlich auf Distanz als auf Tuchfühlung. Einmal jedoch würde er noch gerne im Zentrum der Ereignisse stehen. Ein europäischer Triumph mit dem FC Bayern nämlich wäre eine Art Überhöhung fußballästhetisch prägender Systeme. Hoeneß' und Heynckes' Gipfel im Geiste: München-Gladbach, vereint.

Spieler und Lehrer

Fohlen: Neben Jupp Heynckes gehörten Mitte der sechziger Jahre Werner Waddey, Bernd Rupp, Günter Netzer und Herbert Laumen zu jenem Quintett bei Borussia Mönchengladbach, das den sogenannten Fohlen richtig Beine machte. Unter dem kölschen Trainer Hennes Weisweiler etablierte die Borussia – manchmal buchstäblich auf Gedeih oder Verderb – eine bis dato in der jungen Liga so nie gesehenen Offensivfußball. Und Weisweiler hatte extrem eigene Ansichten: „Abseits“, pflegte er zu sagen, „ist, wenn dat lange Arschloch (gemeint war Günter Netzer) zu spät abspielt.“

Vater: Ende der siebziger Jahre förderte Heynckes nachdrücklich den Aufstieg von Lothar Matthäus, der als Jungspieler aus Franken zu Gladbach gekommen war. Auch weiterhin formte Heynckes Talente: Bei Bilbao war das Julien Guerrero Lopéz, in Lissabon der Torwart Robert Enke, in Leverkusen (und jetzt wieder bei Bayern) unter anderen Toni Kroos. Ähnlichkeiten zwischen der mentalen Grundstruktur der Azubis und Heynckes’ Psyche liegen meist auf der Hand.