Pedro Almodóvar zeigt einen gealterten Filmregisseur in einer fundamentalen Sinn- und Schaffenskrise. Feinsinnig und selbstironisch zerpflückt er die Widersprüchlichkeiten des Künstlerdaseins – und nimmt diese zugleich ernst.

Stuttgart - Ein feinsinniger Künstler mit schrillen Anwandlungen und einer empfindsamen Seele ist der spanische Regisseur Pedro Almodóvar. Er öffnet sein Innerstes und hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass in seinem Werk autobiografische Bezüge und Parallelen durchscheinen. Schon in der Dreiecksgeschichte „Das Gesetz der Begierde“ (1987) stand im Zentrum ein schwuler Regisseur wie Almodóvar selbst. In „Alles über meine Mutter“ (1999) zeigte er einfühlsam Nachtgestalten in Madrid, die kaum ersinnen kann, wer sie nicht kennt. In „Schlechte Erziehung“ (2004) verarbeitete er in einer Missbrauchsgeschichte seine Kindheit als katholischer Klosterschüler. Und in „Volver“ (2006) glänzte Penélope Cruz als heldenhafte alleinerziehende Mutterfigur in Madrid, die dem Dorfleben entflohen war wie Almodóvar selbst.

 

In „Leid und Herrlichkeit“ nun erzählt er von dem gealterten Regisseur und Hypochonder Salvador, der nach einer Jahrzehnte währenden Sinn- und Schaffenskrise seine Lebensentscheidungen rekapituliert. Er ringt mit sich selbst und all den Themen, die Almodóvar stets beschäftigt haben, Herzensdinge und Sex, die Herkunft vom Land, das Verhältnis zur Mutter, menschliche Vergänglichkeit. Dabei kreist Salvador immer auch um die Frage, was einen Künstler ausmacht und welche Rolle die Menschen spielen, die ihn umgeben.

Es geht um Herzensdinge und Sex

Der spanische Schauspieler Antonio Banderas, der zwischenzeitlich Hauptrollen in Hollywood bekleidete („Desperado“, „Die Maske des Zorro“), kehrte schon 2011 für „Die Haut, in der ich wohne“ zu seinem Entdecker Almodóvar zurück; mit dessen Filmen „Matador“ (1986), „Das Gesetz der Begierde“ und der schrillen Farce „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (1988) war Banderas bekanntgeworden. In „Leid und Herrlichkeit nun nimmt er sich auf wundersame Weise zurück, zeigt sich graubärtig und trägt virtuos einen Mangel an Körperspannung zur Schau, der exakt mit Salvadors existenzialistischer Antriebslosigkeit korrespondiert. Dieser Protagonist wirkt, als hätte man ihm vor langer Zeit den Stecker gezogen, und verströmt doch ein unterschwelliges Schillern, das keinen Zweifel lässt, dass er zu allem fähig wäre, wenn er nur wollte.

Er nimmt Kontakt zu dem Schauspieler Alberto auf, der einst in seinem Erfolgsfilm „Sabor“ (Geschmack) auftrat und mit dem er sich schon damals künstlerisch überwarf. Er beginnt wie dieser, Heroin zu rauchen – aus reiner Langeweile und mit ernsten Folgen. Er erinnert sich in Rückblenden an seine resolute Mutter (Penélope Cruz wird unter sprichwörtlichen „Waschweibern“ am Fluss eingeführt) und den abwesenden Vater, an eine Kindheit in einer höhlenartigen Wohnung und die animalische Anziehungskraft eines schwitzenden Handwerker. Ein ehemaliger Liebhaber taucht unvermittelt auf und bald deutet vieles darauf hin, dass Salvador ins Leben zurückfinden könnte.

Reale Ängste

Feinsinnig und selbstironisch gibt Pedro Almodóvar seinem filmischen alter Ego und mit ihm Antonio Banderas Raum, ein menschliches Universum auszubreiten. Er entlarvt Bescheidenheitsgetue und aufgesetzte Selbstzweifel als zur Schau getragene Eitelkeit, er stellt das Buhlen um Komplimente und zickige Dünnhäutigkeit zur Schau – und macht dabei zugleich klar, dass hinter all dem Theater reale Ängst stecken: nicht mehr zu genügen, ernsthaft verletzt zu werden.

Almodóvar bringt auf den Punkt, was viele Künstler mit einem gewissen Anspruch an Ästhetik und Aussage umtreibt. Wie er all die Widersprüchlichkeiten veranschaulicht, ist ein Kunststück; und Ausdruck eines enormes Selbstbewusstseins.