Wie wird die religiöse Landkarte Deutschlands aussehen? Welche Bedeutung werden Glaube und Unglaube haben? Kehren die Götter zurück oder siechen die Religionen dahin? Um diese und andere Fragen geht es in unserer 15-teiligen Serie „Religion und Glaube 2050“.
Stuttgart - Die religiösen Orden in Deutschlandbluten personell aus. Kaum jemand will noch Mönch, Nonne oder Pater werden. Bis 2050 werden vor allem die großen Orden wie Franziskaner, Jesuiten oder Benediktiner, wenn auch auf niedrigerem Niveau, überleben. Gleichzeitig suchen immer mehr gestresste Großstadtbürger Zuflucht hinter Klostermauern. Nach Angaben der Deutschen Ordensoberenkonferenz (DOK) buchten in vergangenen Jahren durchschnittlich 255 000 Menschen pro Jahr eine Auszeit im Kloster.
Auszeit im Kloster und auf Wallfahrten
Die Zahl der Sinnsucher wird sich auch künftig auf einem hohen Niveau einpendeln. Wer früher als Katholik Probleme mit sich oder seiner Frau hatte, ging zur Beichte. Heute bucht man ein paar Tage der Stille im Kloster. Aus ganz unterschiedlichen Motiven: Die einen suchen Orientierung in einer Lebenskrise, einer gescheiterten Ehe oder schweren Erkrankung. Andere wollen eine Auszeit vom beruflichen Stress und hektischen Alltag. Wieder andere suchen religiöse Orientierungund eine Rückbesinnung auf den Glauben, geistliche Gespräche und Anregungen für wichtige Lebensentscheidungen.
Wegweiser auf der Suche nach Sinn
„Verbindliche Sinnangebote werden in unserer Gesellschaft immer seltener“, betont Arnulf Salmen, Sprecher der Deutschen Ordensoberen-Konferenz (DOK). „Die Suche nach Konzepten und Wegen, die dem Leben Sinn geben können, wird immer wichtiger und die Zahl der Suchenden immer größer.“
Der Psychiater und Psychotherapeut Wilhelm Schmid-Bode rät potenziellen Burn-out-Kandidaten, „die Notbremse zu ziehen und sich eine Auszeit“ zu gönnen. „Klösterliche Werte wie Askese, Kontemplation und Demut könnten ein Wegweiser sein auf der Suche nach einem Sinn in unserem Tun.“
Spiritueller Tourismus
Zu den Reisearten mit enormen Wachstumspotenzial gehört der spirituelle Tourismus – Pilgerreisen auf dem Jakobusweg ins nordspanische Santiago de Compostela, nach Rom oder Lourdes. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, in der die Religion zunehmend Privatsache ist. „Pilgern ist Auszeit vom Alltag. Da wird nicht gefragt, bist du katholisch, evangelisch oder ungläubig. Da bin ich einfach Pilger“, sagt die Vizepräsidentin des Bayerischen Pilgerbüros Irmgard Jehle.
Religiöse Eventkultur
Papst Johannes Paul II. hat sie ins Leben gerufen, sein Nachfolger Benedikt XVI. konnte sich ihnen entziehen und Franziskus geht in ihnen auf: Weltjugendtage. Wie Katholiken- und Kirchentage sind sie Ausdruck einer religiösen Eventkultur. Auch wenn diese Glaubens-Happenings nur ein kurzfristiges Schweben auf Wolke sieben sind, werden sie massenhaft besucht. Der Glaube wird wie in einem großen Welttheater inszeniert.
Unter dem Dach kirchlicher Mega-Veranstaltungen finden sich Fromme und Zweifelnde, Sozialengagierte und Spaßsuchende, Messdiener und Atheisten zusammen. Für einen Augenblick werden aus Individualisten eine Gemeinschaft, aus Suchenden Findende. Das trägt für eine gewisse Zeit wie ein spiritueller Euphorie-Schub durch den Alltag.
Unsere Serie: Religion und Glaube 2050
Teil 1: Trend 2050 – Religion, Glaube, Spiritualität
Teil 2: Trend 2050 – Globaler Glaube und Unglaube
Teil 3: Trend 2050 – Der Glaube der Ungläubigen
Teil 4: Trend 2050 – Säkularisierter Glaube
Teil 5: Trend 2050 – Individualisierter Glaube
Teil 6: Trends 2050 – Kirchlicher Glaube
Teil 7: Trend 2050 – Karitativ-diakonischer Glaube
Teil 8: Trend 2050 – Patchwork-Religiosität
Teil 9: Trend 2050 – Pseudo-religiöse Konsumtrends
Teil 10: Trend 2050 – Sanfter Glaube
Teil 11: Trend 2050 – Auf Sinnsuche bei Glaubenden
Teil 12: Trend 2050 – Fundamentalistischer Glaube
Teil 13: Trend 2050 – Fernöstliche Erleuchtung
Teil 14: Trend 2050 – Muslimische Parallelwelten
Abschluss: Religion und Glaube 2050 in 14 Thesen