Sie hat dem Burgtheater in Wien einen Korb gegeben und würde auch ohne Gage spielen – die Schauspielerin Katharina Knap ist eines der neuen Gesichter des Stuttgarter Staatstheaters.

Stuttgart - Ein Karriereberater hätte ihr von diesem Schritt abgeraten. Dringend und drängend sogar. Katharina Knap aber ist keine Frau, die ihr Leben in die Hände smarter Jobmanager legen würde, nur damit es mit der Laufbahn steiler und schneller nach oben geht. „Ich bin ein treuer Mensch“, sagt die 31-jährige Schauspielerin, „treu gegenüber meinen Figuren auf der Bühne, aber auch treu gegenüber den Versprechen, die ich gebe.“ Und dem Stuttgarter Intendanten Armin Petras hat sie vor einem Jahr etwas versprochen, nämlich die Zusage, mit ihm ans hiesige Schauspiel zu gehen, nicht ahnend, dass sich ihr danach noch eine ganz andere Möglichkeit bieten würde. Das Wiener Burgtheater lockte, das größte, traditionsreichste und renommierteste Haus im deutschsprachigen Raum, wo sie nach ihren Mehrfachrollen in einer Nestroy-Posse eine lukrative Festanstellung bekommen hätte. Die Krönung eines jeden Schauspielerlebens! Mit 31 Jahren! Die Burg! Und dann noch als unverhoffte Dreingabe Wien, ihre geschätzte und geliebte Geburts- und Heimatstadt! Frau Knap aber sagte nur: Nein.

 

Man muss kein kühler Karriereberater sein, um hier den Kopf zu schütteln. Auch andere Menschen haben das getan. Während die Eltern ihre Tochter sanft aufforderten, die Entscheidung zu überdenken, äußerten die berühmten Kollegen im noch berühmteren Burgtheater ihr Unverständnis mit sehr deutlichen Worten. „Geh heast, wo’s wüst? Bläb do!“ – mach keine Zicken, bleib hier, habe der unangefochtene Publikumsliebling Nicolas Ofczarek gesagt, als er von Knaps Entschluss hörte, das gemachte Nest zu verlassen. „Aber ich war da doch schon längst mit Stuttgart und Armin Petras verlobt“, sagt kopfschüttelnd die junge Schauspielerin, die aus dem Weanerischen „Bläb do!“ wieder ins Hochdeutsche fällt, weil sie noch etwas Künstlerisches anmerkt: „In der Burg ist immer alles auf Gelingen angelegt. Das kann auch fad werden. Ich will auch noch ins Risiko gehen und scheitern dürfen.“

Unglaublich viel Unbeschwertheit auf der Bühne

Das darf sie im Stuttgarter Schauspiel. Seit Beginn der Saison gehört Knap zu den 36 Spielern und Spielerinnen, mit denen die neue Intendanz die Stadt fast wie im Sturm erobert hat. Viele Vorstellungen sind ausverkauft, Restkarten oft nur noch an der Abendkasse erhältlich. Dieser Riesenerfolg geht nicht zuletzt aufs Konto des neuen Ensembles, das sich mit einer seit Peymanns Zeiten nicht mehr gesehenen Unbeschwertheit auf die Bühne stürzt.

Neben den Darstellern aus der ersten Reihe, Edgar Selge und Franziska Walser, Astrid Meyerfeldt und (als Gast) Joachim Król, zählen zu den Spielwütigen freilich auch jene Darsteller, die noch keinen großen Namen tragen. Das sind eine ganze Menge. Doch unter den noch Namenlosen fällt eine eben besonders auf. Vor den Kulissen in Tschechows „Onkel Wanja“ und Kleists „Zerbrochnem Krug“, aber auch hinter den Kulissen, also jenseits des Staatstheaters in den Wäldern über Stuttgart. Dort sind wir mit Katharina Knap, die emphatisch von „Treue“ und „Verlobung“ spricht, wo andere nüchtern von „Vertrag“ und „Verpflichtung“ reden würden, zum Spaziergang verabredet.

Eine wetterfeste Anhängerin der freien Natur

Sie kommt von der vierstündigen Vormittagsprobe. In „Fahrerflucht / Fluchtfahrer“, das am Mittwoch basierend auf einem Hörspiel von Alfred Andersch, in der Spielstätte Nord rauskommt, gibt sie eine Berliner Arztgattin, die sich ein Zubrot verdient, indem sie sich fremden Männern zum Vergnügen anbietet – auch aus ideologischen Gründen, denn ihre in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts lebende Mary Lou ist eine Anhängerin der freien Liebe. Knap erweist sich jetzt aber eher als wetterfeste Anhängerin der freien Natur. Eingepackt in Mantel, Schal und – darauf legt sie Wert – selbstgestrickter Wollmütze stapft sie über Wege, die sie vom Joggen kennt. Zweimal die Woche läuft sie hier

Katharina Knap bekommt im Wald den Kopf frei zum Spielen. Foto: Achim Zweygarth
anderthalb Stunden hügelauf- und hügelabwärts, um den „Kopf zum Spielen frei zu kriegen“. Wie wichtig ihr der Kontakt zur Natur ist, hatte sich schon im Vorfeld angekündigt. Ob wir uns außerhalb des Theaters treffen könnten, wollten wir am Telefon wissen. „Ja, gerne“, hatte die Jungschauspielerin geantwortet und dann zu unserer Verblüffung eben kein Szenecafé gewählt. Knap ist anders als die anderen – und der ihr vertraute, mit ihr auch befreundete Wald obendrein eine gute Wahl. Er lüftet den Körper und öffnet die Sinne.

Was auch unter Kollegen am Theater wie ein Staatsgeheimnis behandelt wird, gibt sie freimütig preis. Sie sagt, was sie verdient: 1700 Euro netto. Davon gehen 650 Euro Warmmiete für eine 40-Quadratmeter-Wohnung mit Balkon ab, bleiben zum Leben 1050 Euro – und das für eine Arbeit, die sie, wenn’s hart kommt, auch mal sieben Tage rund um die Uhr beschäftigen kann. Vormittags und abends Proben für ein neues Stück, so wie in diesen Tagen; an probenfreien Abenden Vorstellungen im Theater, davor und danach Vor- und Nachbereitung der Proben, dazu ständige Telefonbereitschaft für den Fall von Umplanungen – so sieht der Alltag von Schauspielern aus, wenn sie nicht im Rampenlicht stehen. Und selbst an einem großen Staatstheater wie Stuttgart bekommt eine junge Künstlerin wie Katharina Knap dafür kein großes Geld. Es gilt der „Normalvertrag Bühne“ der deutschen Bühnengenossenschaft – wer gut verhandelt, kommt über die bescheidenen, nach Alter und Erfahrung gestaffelten Tarifsätze hinaus.

Dafür aber, fürs Verhandeln, habe sie kein Talent, sagt Knap. Sie ahnt auch, weshalb. Und die Sätze, die aus ihrem Mund kommen, lassen aufhorchen. Sie zeugen von einem Idealismus, den man selbst unter Künstlern, ohnehin zur Selbstausbeutung neigend, nicht mehr vermuten würde. Völlig ungebrochen sagt also Katharina Knap: „Für etwas, das ich mit Herzblut mache, möchte ich eigentlich kein Geld bekommen. Meine Liebe lässt sich nicht kaufen und bezahlen. Ich bin ja keine Nutte.“ Und auch wenn sie jetzt über ihre Wortwahl selber etwas erschrickt, meint sie es genau so: Alles, was sie mit Liebe macht, darf mit Geld nichts zu tun haben. Geld und Liebe schließen einander aus. Und deshalb führt sie auch keine Klage über ihre Gage, sondern über etwas anderes: Dass sich die Menschen vor zweihundert Jahren dazu entschlossen hätten, den Kapitalismus einzuführen, das müsse nicht auf ewig so bleiben, sagt Knap, die während des Spaziergangs immer wieder – nein, nicht Marx – aber doch ihre Hausheiligen Kant, Schopenhauer und Nietzsche zitiert.

Brust aufreißen, Leute reinlassen, Welt verbessern

„Oh, ich rede grässliches Zeug“, entfährt es nun der Freizeitphilosophin, die gerne über Stuttgarter Flohmärkte streunt, „furchtbar grässliches Zeug, stimmt’s?“

Sie steht jetzt ein bisschen neben sich im dunkler werdenden Wald, lacht ihr offenes Lachen und zeigt die Grübchen, die sich dabei in ihren runden Wangen bilden. Aber nein, es stimmt nicht: Es ist keineswegs grässlich, was Katharina Knap, die alle nur Kathi rufen, über das Leben denkt, über Lebenslügen und Schmerz und Leid, die es zu überwinden gilt. Als sie sich für Stuttgart beworben hat, wollte Armin Petras von ihr wissen, warum sie überhaupt auf die Bühne strebe. „Weil ich mir die Brust aufreißen will“, hat sie damals gesagt, „Brust aufreißen, Leute reinlassen, Welt verbessern.“ – „Sehr schön. Ich auch“, habe Petras geantwortet, der damals schon wusste, dass Knap noch mehr zu bieten hat als nur ein idealistisches Berufsverständnis.

Noch während ihres Schauspielstudiums in Graz erhielt Katharina Knap ein erstes Engagement am dortigen Stadttheater, da war sie 22 Jahre alt. Danach nahm sie der Intendant Matthias Fontheim mit nach Mainz ans Staatstheater, wo sie von 2006 bis 2011 blieb – fünf Jahre, in denen sie von Nebenrollen zu Hauptrollen aufstieg, von Kinder- und Jugendstücken zu Klassikern der Weltliteratur. Sie spielte – als Frau – die Titelfigur in Shakespeares „Richard III“ und war als alles verwüstender König „kindlich grausam, auch im Untergang noch leuchtend“, wie die FAZ schrieb. Sie spielte Ibsens „Fräulein Julie“ und war, ebenfalls laut FAZ, „das funkensprühende Zentrum der Inszenierung“. Und in Simon Stephens ,,Marine Parade“, einem zeitgenössischen Beziehungsdrama aus England, erwies sie sich „als liebliche und irrwitzig aufmerksame Schauspielerin, die den Abend lohnt“, wie die Kritikerin der „Frankfurter Rundschau“ feststellte. Hymne über Hymne auf die eben nur in Stuttgart noch als Nobody gehandelte 31-jährige Alleskönnerin – aber auch diese Namenlosigkeit wird sich, wenn nicht alles täuscht, ändern.

Sie spielt ihre Leistung herunter aufs Handwerkliche

In zwei Inszenierungen ist Knap derzeit in Stuttgart zu sehen. Als Frau Brigitte hat sie im „Zerbrochnen Krug“ zwar nur einen Kurzauftritt, er aber ist lang genug ist, um auch unseren Kritiker ins Schwärmen zu bringen. „Zum Niederknien gut“ sei diese Brigitte, „unglaublich präsent, sprachlich exakt und schlau zum Höhepunkt gesteigert“, hieß es in dieser Zeitung, als die Kleist-Komödie vor vierzehn Tagen Premiere hatte. Mehr Lob, überdies vollkommen verdient, kann man für eine Rolle kaum einheimsen, doch was macht Katharina Knap? Uneitel, wie sie ist, spielt sie ihre Leistung herunter aufs Handwerkliche. „Als Frau Brigitte kann man sich auf seinem Talent ausruhen“, sagt sie, „Text lernen, Text sprechen, Text senden. Da muss ich mich nicht den ganzen Tag auf ein Gefühl einstimmen“ – anders als in Tschechows „Onkel Wanja“, wo sie ihre sanft aufgeraute Stimme, ihren gedrungen schmalen Körper gleich über drei Stunden hinweg der unscheinbaren Nichte Sonja leiht.

Dick eingepackt beim Waldspaziergang Foto: Achim Zweygarth
Dass diese Inszenierung des Regisseurs Robert Borgmann durchgefallen ist, bei der Premiere und bei der Kritik, schmerzt sie sehr. Und wieder spricht sie vom „Herzblut“, das die ganze „Theaterfamilie“, also das Ensemble, mit unendlicher Liebe zum Detail in diesen Tschechow gegeben habe. Und dann das! Buhrufe, Verrisse, Aufgebrachtheiten! Aber ein Trost ist es für Katharina Knap jetzt schon, dass der sperrige „Onkel Wanja“ in den Repertoire-Vorstellungen doch noch sein Publikum gefunden hat. Sehr zu Recht. Wie sie ihre Sonja zögernd an die Rampe führt, wo sie einem Slapstick ausgesetzt wird, dessen Komik von bitterer Grausamkeit ist, diese Szene greift an die Seele – und lässt in aller atemraubenden Schärfe spüren, wie die kleine Sonja, diese Schattenexistenz in viel zu weiten Jeans und Shirts, ihre freudlose und entbehrungsreiche Existenz übersteht: mit einer vor Verlegenheitsgestik strotzenden Trotz-allem-Würde, die ihr die große und nicht nur im Bühnenspiel kluge Katharina Knap verleiht. Ja, klug, lebensklug, intelligent: nicht jeder Idealismus paart sich eben zwangsläufig mit Naivität.

Über den Wald in Stuttgart ist mittlerweile die Winternacht hereingebrochen. Auf Treppen, die für die aus Wien reingeschmeckte Frau noch immer Stiegen sind, gehen wir hinab in den Talkessel. Um 19 Uhr beginnen die Abendproben zu „Fahrerflucht / Fluchtfahrer“. Als Mary Lou muss sie dort einen zwielichtigen Aktiendeal einfädeln. Noch sucht sie nach der passenden Sprechweise. „Red doch mal wie Michel Friedman“, schlägt der Regisseur vor. Michel wer? Katharina Knap kennt den Polittalker nicht: „Entschuldigung, ich guck nicht fern“ – und schon beugt sie sich über einen Laptop, spitzt die Ohren und hört in eine Sendung des Fernsehmanns rein. Eine Minute später wiederholt sie ihren Monolog: mit gedehnten Buchstaben im nervösen Singsang der Sätze, deren Ende immer in der Luft zu hängen scheinen. Im Nu hat sie ihren Friedman drauf. Typisch Knap.