Die Dokumentation zur Ausstellung „Verhockt, scho wieder . . . ! – Ein Blick zurück in Musbergs Gaststätten ist jetzt erschienen. Sie bietet einen Blick zurück in ein Stück Alltagskultur.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Grober Unfug, Schimpfen und Schreien, Nachtruhestörung: Immer wieder tauchen diese Formulierungen auf, wenn man das Dienstbuch des Musberger Polizeidieners zwischen den Jahren 1898 und 1927 durchblättert. Solche Einblicke gewährt die jetzt erschienene Dokumentation zur Ausstellung „Verhockt, scho wieder . . . ! – Ein Blick zurück in Musbergs Gaststätten“, die der Theater- und Kulturverein Musberg im Sommer 2023 organisiert hatte. Auch das hat es noch gegeben als strafbare Handlung: Übertretung der Polizeistunde, also länger hocken geblieben in der Kneipe, als es die Polizei erlaubt. Etliche der Übeltäter waren den Polizeidienern persönlich bekannt. Da heißt es dann im Dienstbuch: „Den Christin Schmid, Fuhrknecht bei Friedrich Stäbler, Gottlieb Sohn hier, welcher gestern Nacht 10 vor der Wirtschaft zum Ritter und vor dem Rathaus durch schweres Austreten die Straße verunreinigte.“

 

Das war mal die Gaststättendichte in Musberg: Im Hintergrund der Löwen, vorne rechts die Sonne. Foto: Stadtarchiv

Die Sonne, das älteste Lokal von Musberg, hier in einer Aufnahme aus den 1920er Jahren. Foto: Stadtarchiv

Derlei Geschehnisse waren freilich keine Musberger Besonderheit. Was Musberg aber von anderen Orten abhebt, dürfte die Häufigkeit derartiger Vorkommnisse sein. Und das liegt vor allem daran, dass die Kneipen- und Lokaldichte in Musberg ungewöhnlich hoch war im Vergleich zu vielen anderen Orten dieser Größenordnung: 18 Lokale zählt die Chronik, beginnend 1799 mit der Sonne. So ist es ein großes Verdienst des Theater- und Kulturvereins Musberg, dass er diese Blütezeit dieser Form von gemütlichem Beisammensein mit einer Ausstellung wieder in Erinnerung gerufen hat, die in den Sommermonaten im Stadtarchiv von Leinfelden-Echterdingen zu sehen war. Die umfangreiche Dokumentation dazu hat ein ungewöhnliches Hochformat wegen der vielen Bildtafeln, die in der Ausstellung zu sehen waren. Markus Heinle und Herbert Burkhardt haben Erstaunliches geleistet. Die Fotografien aus jenen Jahren sind ein wahrer Schatz an Alltagskultur, ergänzt durch Zitate, Beschreibungen oder Transkripte. Mit sicherer Hand geleiteten sie die Ausstellungsbesucher, jetzt die Leser des Katalogs, durch diese bewegten Zeiten. Etliches dürfte deshalb so ausführlich behandelt worden sein, weil Heinle und Burkhardt selbst gebürtige Musberger sind, die bis heute dort leben und die das Kneipenleben seit den 1970er Jahren persönlich ausgetestet haben.

Aus den Anfangsjahren des Musberger Tourismus stammt diese Ansichtskarte. Foto: Stadtarchiv

Schanzenspringen. Foto: Stadtarchiv

Ein Grund für diese Kneipendichte dürfte die besondere Lage von Musberg sein. Denn noch in den 1970er Jahren war Piz Mus für Stuttgarter ein beliebtes Naherholungsziel, vor allem dann, als in Stuttgart und Umgebung noch ordentlich Schnee fiel. Die verrosteten Säulen eines Skilifts erinnern bis heute an die goldenen Zeiten des Skisports dort.

Auf dem Weg nach Musberg. Eine Aufnahme von 1937. Foto: Stadtarchiv

Musberg erlebte schon früh einen touristischen Aufschwung. Insbesondere von 1928 an, als die Bahnlinie von Leinfelden nach Waldenbuch in Musberg anhielt, auf dem Weg über das Reichenbachtal. Der damalige Bürgermeister hatte dazu ein Werbefaltblatt entwickelt, das Musberg und die nähere Umgebung preist: Von der Hektik und der aufpeitschenden Unruhe der Großstadt ist da die Rede, vom rastlosen Getriebe, und dann eben als Kontrast dazu in Musberg die saftgrünen Matten, leuchtenden Blumen, die Tannen, Buchen und Eichen, die gute Luft, die Ruhe. Auch da machten sich schon Tausende auf den Weg, vor allem an den Wochenenden kamen viele Menschen zu Fuß aus dem Talkessel aus Stuttgart.

Das war einmal der Bahnhof von Musberg. Hinten das Bahnhofslokal. Foto: Stadtarchiv

Nicht allen werden die vielen sublokalen Informationen hilfreich sein, einiges richtet sich vor allem an die Alteingesessenen. Hier wird eine Zeit lebendig, als noch die wenigsten Haushalte Telefon und Fernseher hatten, als noch Live-Orchester zum Tanz aufspielten, als die schon früh aktive Boxer- und Ringerszene mangels Sporthalle in den Sälen der Lokale feierte und trainierte.

Piz Mus in den 1980er Jahren. Foto: Stadtarchiv

Die Dokumentation mit 90 Seiten enthält alle Tafeln der Ausstellung sowie Abbildungen aller Leihgaben und Fotos, sie ist zum Selbstkostenpreis von 28 Euro erhältlich. Bestellungen über info@tuk-musberg.de oder bei Markus Heinle unter 07 11/75 46 794 ab 18 Uhr.