Der CDU-Chef will keine Zusammenarbeit mit der Wagenknecht-Partei, die ostdeutsche Union findet die zusätzliche Option dagegen wichtig.

Berliner Büro: Norbert Wallet (nwa)

Ein oft unterschätztes Talent des CDU-Chefs Friedrich Merz ist seine Fähigkeit, mit einer schnell dahergesagten Bemerkung Verwirrung zu stiften und seine eigene Partei in Erstaunen zu versetzen. Die Liste reicht vom „Sozialtourismus der Ukraineflüchtlinge“ bis zu den „kleinen Paschas“ auf den Schulhöfen. Zum Leidwesen der politischen Konkurrenz und zur Freude des Konrad-Adenauer-Hauses hatte Merz seine Neigung zum sprachlichen Schnellschuss zuletzt weitgehend unterdrückt.

 

Aber jetzt musste doch wieder etwas ganz schnell raus. Einen Tag nach der für die Union so erfolgreichen Europawahl knallte er den ostdeutschen Landesverbänden mit brachialer rhetorischer Wucht eine Tür zu, die sich gerade erst aufgetan hatte. Es geht um das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das bei den Europawahlen vor allem im Osten aus dem Stand prima abgeschnitten hatte. Angesichts der ausgesprochen schwierigen Mehrheitsbildungen diesseits der AfD schien sich hier in ersten Umrissen eine Chance aufzutun, irgendwie ohne eine Rücksichtnahme auf die Rechtsaußen regieren zu können. Strategisch wäre es also nicht schlecht, die Option zumindest im Hinterkopf zu haben. Nach dem Motto: „Immer dran denken, nie drüber reden.“

„In einigen Themen rechtsextrem, in anderen linksextrem“

Friedrich Merz tickt anders. Im ARD-Brennpunkt wurde er gefragt, ob er sich eine Koalition oder wenigstens eine Zusammenarbeit vorstellen könnte, um einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. Die Antwort des CDU-Vorsitzenden war von dröhnender Eindeutigkeit: „Das ist völlig klar, das haben wir auch immer gesagt. Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen.“ Wumms. Und dann legte er noch in Richtung Sahra Wagenknecht nach. Die sei nämlich sogar beides: „Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem.“ Doppelwumms.

Es dauerte nicht lange, bis den ostdeutschen Wahlkämpfern der Union dämmerte, was die Äußerungen bedeuteten. Dazu muss man nur das Europa-Wahlergebnis in Thüringen betrachten: Afd 30,7 Prozent, CDU 23,2, BSW 15, SPD 8,2, Linke 5,7, Grüne und FDP unter 5. Wie sollte die CDU den Ministerpräsidenten stellen können, wenn dies das Landtagswahlergebnis am 1. September wäre – und Gespräche mit dem BSW ausgeschlossen sind? In Sachsen das gleiche Bild: Hier liegt die AfD sogar bei 31,8 Prozent, die Union bei 21,8, dann kommt das BSW mit 12,6. SPD und Grüne liegen über 5 Prozent, Linke und FDP darunter.

Thüringer CDU meldet umgehend Widerspruch an

Der Ost-CDU war also am Dienstag schnell klar, dass die Merz-Äußerungen so nicht stehenbleiben konnten. Die Bundespartei hat seit Langem einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei. In Sachen BSW war die Sache noch nicht so klar – bis jetzt. Mario Voigt, der Vorsitzende und Spitzenkandidat der CDU Thüringen, machte schnell deutlich, dass ein Weg gefunden werden musste, das Merz-Diktum abzuschwächen.

Er fand ihn tatsächlich. Der Osten war nämlich in Voigts Welt gar nicht gemeint. „Friedrich Merz hat für die Bundesebene gesprochen“, sagte der Thüringer. Das ist zwar falsch, denn Merz wurde in dem ARD-Gespräch dezidiert nach Wegen gefragt, einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. Aber das war nicht wichtig. Im Grunde nämlich sagte Voigt seinem Bundesvorsitzenden in verblümter Sprache: Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten! Wie die Dinge für die Landes-CDU liegen, hat er dann auch noch sehr klar gemacht: Von der thüringischen BSW-Chefin Katja Wolf „und aus dem Thüringer BSW höre ich mehr Vernünftiges als von Linken und Grünen, insbesondere in der Migrations- und in der Bildungspolitik“. Deshalb lässt er alles offen. Seine einzigen roten Linien: „Keine Koalition mit der rechtsradikalen AfD und keine Koalition mit der Linken.“

Am Nachmittag rudert Merz minimal zurück

Den offenen Konflikt musste Merz schleunigst aus der Welt schaffen. Am Nachmittag ruderte er zurück, allerdings nur minimal. Er sehe „überhaupt keine Überschneidungen“ mit dem BSW, die Positionen von Wagenknecht „in der Außen- und Wirtschaftspolitik sind unvereinbar mit unseren Positionen“. Aber Merz sagte auch, dass er seine Äußerungen „aus der Sicht der Bundespolitik“ abgegeben habe. „Was in der längeren Perspektive daraus folgt, wird man sehen.“ Natürlich werde er auch mit den Landesvorsitzenden darüber sprechen, „ob es da andere Sichtweisen gibt“. Gegenwärtig sei das nicht der Fall, fügte Merz abschließend an. Ein Anruf in Thüringen würde ihn da allerdings eines Besseren belehren.