Als Gegenmodell zur Weißenhofsiedlung istdie Kochenhofsiedlung gebaut worden.

S-Nord - In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist der Stuttgarter Killesberg Schauplatz eines Architekturstreits gewesen. Eines produktiven Streits, denn Ergebnis desselben waren zwei Siedlungen, deren Schöpfer beim Bau jeweils entgegengesetzte Prinzipien verfolgten.

 

1927, im Zuge der Werkbund-Ausstellung Die Wohnung, wurde die neu erbaute avantgardistische Weißenhofsiedlung der Öffentlichkeit präsentiert. Bis heute gilt sie als eines der wichtigsten Bauexperimente der Moderne. Weniger bekannt und heute weniger sichtbar ist die Kochenhofsiedlung, die als traditionalistisches Gegenmodell zur modernen Weißenhofsiedlung nur einige hundert Meter davon entfernt und nur wenige Jahre später entstanden ist.

Die Siedlung war 1933 innerhalb weniger Monate fertiggestellt

Der Initiator war Paul Schmitthenner, der als Vertreter der eher konservativen Stuttgarter Schule vom Weißenhof-Projekt ausgeschlossen worden war. Unter seiner Leitung arbeiteten 23 Architekturbüros und einzelne Architekten am Bau der Kochenhofsiedlung, überwiegend ehemalige Studenten und Professoren der Technischen Hochschule Stuttgart. Der Baugrund wurde von der Stadt zu einem günstigen Preis zur Verfügung gestellt. Die Kochenhofsiedlung war Abbild dessen, was sich die Architekten der alten Stuttgarter Schule unter „guter deutscher Architektur“ vorgestellt hatten. Beim Bau hielten sie sich an die klaren Vorgaben Schmitthenners und an die von ihm vorgeschriebenen alt bewährten Bauweisen.

So entstanden schließlich 25 spitzgiebelige Häuser, jedes mit Satteldach und in traditioneller Holzbauweise erstellt – mit Fachwerk, Block- und Tafelbau. Denn Ziel der Siedlung war es unter anderem, die deutsche Holz- und Forstwirtschaft zu unterstützen sowie die Holzverarbeitung im Baugewerbe zu fördern. Die im Rahmen der Ausstellung „Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung“ und unter Mitarbeit der deutschen Forstwirtschaft erbaute Siedlung war 1933 innerhalb weniger Monate fertiggestellt.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Siedlung zerstört

Verurteilten die Vertreter der Stuttgarter Schule die Weißenhofsiedlung aufgrund ihrer Flachdächer – Paul Bonatz sprach spöttisch vom „Vorort Jerusalems“ –, musste die Kochenhofsiedlung sich wegen ihrer Holzbauweise Bezeichnungen wie „Holzwurmsiedlung“ gefallen lassen. Den Nationalsozialisten war die international renommierte Weißenhofsiedlung ein Dorn im Auge. Die Kochenhofsiedlung hingegen wurde durch ihre Besinnung auf Traditionen und die Verwendung von deutschem Holz unterstützt. Ein Stigma, das der Kochenhofsiedlung lange anhaftete.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Siedlung bei mehreren Luftangriffen zerstört. Die Siedlung wurde danach um einige Häuser erweitert, die nicht mehr den Vorgaben entsprachen, wie sie Schmitthenner seiner Zeit gesetzt hatte. Auch einige der noch erhaltenen Häuser der Siedlung wurden danach baulich verändert. Unter anderem aus diesen Gründen ist die Kochenhofsiedlung mit ihren privaten Eigenheimen weniger sichtbar und unbekannter als die Weißenhofsiedlung in der Nachbarschaft.