Hände sind nur noch dazu da, sie zu waschen. Darf man über Corona Witze machen? Über Klopapier wird nun im Stuttgarter Varieté gelacht. Dort ist ein Misan­throp von der Rolle. Wer Menschen meidet, hält sich Viren fern. Ein Hoch aufs Anschnauzen!

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Ein Misanthrop ist ein Mensch, der andere Menschen in seiner Nähe nicht erträgt. Mitmenschen gehen ihm auf den Geist. In den meisten Fällen hasst er sie sogar. Etliche Psycho-Docs haben früher die Misanthropie als Persönlichkeitsstörung verunglimpft. Heute wissen wir: Misanthropie hält gesund. Wer sich isoliert, lässt keinen Virus an sich ran.

 

Philanthropen – all die, die Menschen lieben – wissen jetzt: Menschenhasser sind weder eigenartig noch unglücklich. Sie wollen nur eins: überleben.

Dumm ist der Misanthrop keineswegs

Das Friedrichsbau-Varieté hat den Ernst der Lage erkannt und in seiner neuen Show „Tollhouse“ einen Misanthropen zum Conférencier eines durchgeknallten Ensembles gemacht. André Hieronymus heißt dieser zaubernde Zuchtmeister. Mies gelaunt schnauzt er sein Publikum in knappen Sätzen an (er nennt es etwa „hässliches Pack“) und führt rigoros ruppig vor, wie man sich vor den Gefahren des Lebens schützt: mit Sarkasmus!

Preußisches Entertainment mit der Hand an der Hosennaht ist vom schwäbischen Wesen nicht weit entfernt. Schwaben sind Bruddler. Der mit Brummbass knarrende Varieté-Anchorman ist noch bärbeißiger als unsere besten Bruddler.

Dumm ist der Misanthrop keineswegs. Sein Hass auf Menschen ist das Ergebnis grundlegenden Nachdenkens. Prompt bringt Herr Hieronymus sein Publikum zum Nachdenken, kaum dass dieser derbe Glatzkopf mit dem viel zu großen Zylinder auf der Bühne die letzte Klopapierrolle Stuttgarts blattweise veräußern will.

Nicht nachmachen, was Harald Schmidt vormacht!

Die Menschheit ist völlig von der Rolle. Der Männerschnupfen, meint eine Besucherin (Frauen kennen sich aus!), war bisher die schlimmste Krankheit, die ein Mann bekommen kann. Jetzt ist alles noch viel schlimmer. Wir Männer fragen uns: Was macht die Männer-Corona aus uns?

Doch halt! Das Coronavirus eignet sich nicht dazu, Witze zu machen. Als Harald Schmidt, ein führender Hypochonder unserer kranken Republik, jetzt im Staatstheater auftrat, sprang er von der Bühne und schüttelte den Leuten in der ersten Reihe die Hand. Der Mann, der mit über 60 zur Zielgruppe dieser Krankheit gehört, machte keine Witze über Corona, sondern handelte. Das Publikum lachte. Lachen ist Medizin und nimmt schlimmen Dingen ein wenig vom Schrecken.

Nicht nachmachen, liebe Kinder, was Herr Schmidt vormacht! Händeschütteln ist streng verboten! Hände sind nur noch dazu da, sie zu waschen. Bei der Varieté-Premiere ist VfB-Präsident Claus Vogt ein Vorbild. Er grüßt mit der Ghetto-Faust. Andere Männer ballen die Faust auch auf dem Klo und versuchen ungelenk, die Tür mit Faust und Ellenbogen aufzubekommen. Drinnen im Saal rennen sie zu ihren Frauen, um sich Desinfektionsfläschchen aus deren Handtaschen geben zu lassen.

Mit Misanthropen können sich viele identifizieren

Varieté-Chef Timo Steinhauer ruft in seiner Begrüßung dazu auf, die Krise gemeinsam mit Menschlichkeit durchzustehen. Nach dieser schönen Rede überlässt er einem Kotzbrocken die Bühne.

Der zynische André Hieronymus treibt die schlechte Laune, die Krankheitsgefahren auslösen, immer tiefer in den Keller, bis nur noch Lachen hilft. Mit misanthropischem Verhalten können wir uns identifizieren (noch nicht infizieren). Wir finden es gut, wenn sich jemand traut, unsympathisch zu sein. Von Zeit zu Zeit sollte man raus aus seinem Corona-Tollhaus. Das „Tollhouse“ im Varieté ist in schweren Zeiten ein gutes Ziel.