Natalie Kanter ist Mutter eines Mädchens, das mittlerweile fast so groß ist wie sie selbst. Dennoch schafft die Tochter es immer noch regelmäßig, den Alltag ihrer Eltern grundlegend auf den Kopf zu stellen. Beispielsweise, in dem sie eine Woche lang gar nicht zu erreichen ist.

Endlich Ruhe! Keiner stört, niemand will etwas wissen. Die Füße ausstrecken, ein gutes Buch lesen – vielleicht sogar in der Wanne. So habe ich mir meine Familien-Auszeit vorgestellt. Die Tochter ist eine Woche im Schullandheim, der Mann zwei Tage lang beruflich unterwegs. Zum allerersten Mal seit elfeinhalb Jahren habe ich unsere Wohnung länger als ein paar Stunden für mich allein.

 

Ich habe sturmfrei und fange an zu putzen. Wie jeden Montagvormittag. Diesmal bin ich besonders gründlich, schließlich habe ich Zeit. Später klappe ich meinen Rechner auf: nur mal kurz die Mails checken. Vielleicht gibt es schon Nachrichten von der Lehrerin meiner Tochter. Einen Föhn, einen Wecker und auch eine Kamera durfte die Elfjährige nämlich in den Koffer packen, das Handy aber musste sie zu Hause lassen. Besonders schwierig ist dieser Umstand für uns Eltern. Die Möglichkeit kurz mal anzurufen, eine kleine Nachricht zu schicken, ist – fünf Tage und vier Nächte lang – außer Kraft gesetzt.

Ich gehe in das Zimmer meiner Tochter, das Bett ist ungemacht. Die Bettdecke wird auch heute Abend so liegen bleiben. Was sie wohl gerade macht? Ob es ihr gut geht? Ganz schön schwierig, diese Familien-Auszeit.

Das Schlimmste ist die Ruhe. Niemand stört, keiner will etwas wissen. Heute gibt es keine Hausaufgaben, die kontrolliert werden müssen, keine Englisch-Vokabeln, die ich schnell abfragen soll. Ich werde auch nicht zu hören bekommen, was heute mal wieder so richtig gemein und fies war in der Schule. Ich werde nicht erfahren, was im Unterricht so witzig war, dass man sich auch Stunden später darüber noch schief lachen kann. Ich werde auch nicht berichtet bekommen, was alles so auf dem Nachhauseweg passiert ist. Ich schalte ich das Radio an, gegen die Stille und lasse es laufen. Schon besser.

Später ruft mein Mann an. „Gibt es was Neues?“, fragt er. Er will wissen, ob ich schon etwas gehört habe von der Tochter. „Nee“, sage ich. Und: „Schon komisch, so rein gar nichts zu wissen und zu erfahren.“ Zur Sicherheit checke ich noch mal meine Mails. Wenige Minuten später trifft die erlösende Nachricht ein: Die Klasse sei in ihrer Unterkunft gut angekommen, alle Schülerinnen und Schüler seien wohl auf und im Glück, berichtet die Lehrerin.

Die Mail ist recht kurz, ich freue mich trotzdem – und beschließe rauszugehen. Einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Nur mir allein eine Kugel Eis zu gönnen. In aller Ruhe. Völlig entspannt. Einfach so. Das Buch, das ich seit Wochen zu Ende lesen will, aber bei dem ich bisher nicht wirklich weitergekommen bin, werde ich an diesem Abend auch noch aufschlagen. Bis spät in die Nacht darf ich darin schmökern und das Licht dabei brennen lassen. Langsam gefällt sie mir – die Familien-Auszeit.

Von Tag zu Tag wird auch das Loslassen einfacher. Das Schönste aber ist, wenn wieder Leben in der Bude ist. Die Tochter vom Schullandheim zurückgekehrt ist und sie so viel zu erzählen hat: von super schönen, total witzigen und auch von super fiesen Erlebnissen.

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Natalie Kanter ist Mutter eines Mädchens, das mittlerweile fast so groß ist wie sie selbst. Dennoch schafft die Tochter es immer noch regelmäßig, den Alltag ihrer Eltern grundlegend auf den Kopf zu stellen.