Im Zeitalter der Brüllaffen macht sich eine Berichterstattung breit, die parteiisch feiert, ohne groß zu relativieren. Und auf Erklärendes zu den olympischen Randsportarten eigentlich nicht mehr angewiesen sein will.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Oft zitiert und in Rückblicken gesendet, doch vielleicht nicht ganz so oft in seiner Vieldeutigkeit gewürdigt wurde der Ausruf: „Ausgerechnet Schnellinger!“

 

Ausgerechnet Schnellinger.

Es war der Fußballreporter Ernst Huberty, ein soignierter kölscher Herr, der mit diesen zwei Worten, unterlegt von einem ganz leichten, gar nicht richtig hörbaren Seufzer, in Etwa das Folgende ausdrücken wollte: Deutschland hat in der allerletzten Minute der regulären Spielzeit im Halbfinale der WM in Mexiko 1970 gegen Italien zum 1:1 ausgeglichen; der Torschütze  war Karl-Heinz Schnellinger, welcher ein höchstens untermittelprächtiges Spiel gezeigt hat, allerdings seit Mitte der sechziger Jahre in der italienischen Liga und derzeit beim ruhmreichen AC Milan engagiert ist und somit gerade jene am meisten getroffen hat, die ihm über den Rest der Saison fußballerisch am nächsten sind… In der Art.  

Blindheit beim Beobachten

Mindestens all dies jedenfalls steckte in den zwei Worten, die Huberty mit leisem Nachdruck, aber doch eher nebenbei sprach. Auch wenn es ein entscheidendes und nicht zu Unrecht sehr berühmt gewordenes Spiel ist, das Italien schließlich mit 4:3 gewann, wollte Huberty die Kirche im Dorf lassen. Auch in Mexiko. Und weil ja in Deutschland sowieso schon längst tiefe Nacht war. Und Fußball schließlich nur ein Spiel. Dachte Huberty.

Zweiundvierzig Jahre später stehen die Dinge so, dass vor allem im Radio und selbst bei Sendeanstalten, die ansonsten noch vollkommen bei Trost sind, der Wahnsinn ein- und wieder ausbricht, sobald Sport gesendet wird. Namentlich Fußball. Der Bayerische Rundfunk beispielsweise, ein Sender von partiell (BR 2) allerhöchster Qualität, schickt für die Bundesligaberichterstattung nun schon seit Jahren eigentlich keine möglichst objektiven Berichterstatter in die Stadien (obwohl viele der Reporter das immer noch sein könnten), sondern Hörfunkleute in der Fankutte: sie setzen alles auf die Bayern, die Sechzger, den Club oder, sagen wir, Wacker Burghausen.

Fanatismus im Wortsinn, verordneter zumal,  sorgt für teilweise Blindheit beim Beobachten. Der Reporter hat nicht mehr das Ganze im Blick, sondern hauptsächlich  Wohl und Wehe einer Mannschaft. Das führt während ganz normaler „Liga live“-Zeiten schon zu unerfreulichen Begleitumständen. Relative Grottenkicks nämlich werden vokal regelmäßig hochhysterisiert zu quasi weltmeisterschaftlichen Angelegenheiten. Und jeder Roller ins Netz wird gefeiert wie das finale WM-Tor. Da stimmt was nicht. Und das kann so nicht gut gehen.

Zurück ins Zeitalter der Brüllaffen

Bei Olympia ist der Druck auf die Reporter, die ständig für irgendeinen Einzelsender irgendetwas zusammenfassen müssen, besonders hoch, keine Frage. Kein Anlass aber, ihn dermaßen unkontrolliert abzulassen, sobald ein deutsches Bein, Rad oder Florett ins Spiel kommt: immer wähnt man sich – unterwegs und relativ wehrlos im Auto zum Beispiel – im Zeitalter der Brüllaffen angekommen, die einem unterschiedslos die Ohren voll plärren, sobald sich in der Luft und on air auch nur ein Hauch von Metall für Deutschland wittern lässt. Bedauerlicherweise vergeht so die Zeit vollkommen ungenutzt, in der sich im Sinne der Erfinder auch einmal Werbung machen ließe für Wert und Wesen von Randsportarten. Andererseits hören und sehen wir die nächsten vier Jahre (womöglich auch nur zwei, sollten  Europameisterschaften anstehen) vom, sagen wir, Turmspringen der Männer, eh nicht mehr viel. Außer, wenn Stefan Raab eine Dauerwerbesendung daraus macht.