Die EZB darf den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik nicht aus dem Blick verlieren, meint Klaus Dieter Oehler. Für den deutschen Anleger und jeden einzelnen Sparer bedeutet die zusätzliche Zinssenkung zuerst einmal nichts

Korrespondenten: Klaus D. Oehler (kdo)

Stuttgart - Die Europäische Zentralbank hält weiter an ihrer ungewöhnlichen Geldpolitik fest. Obwohl die Ratsmitglieder um EZB-Präsident Mario Draghi derzeit keine Gefahr sehen, dass die Preise in der Eurozone auf absehbare Zeit auf breiter Front sinken, haben sie beschlossen, den Leitzins weiter zu senken. Eigentlich wäre eine solche Zinssenkung bei dem ohnehin extrem niedrigen Niveau nach dem Auftrag der Notenbank nur dann erforderlich, wenn diese Gefahr bestünde. Doch Draghi und seine Mitstreiter im EZB-Rat haben sich wohl davon leiten lassen, dass die Erholung der Wirtschaft in vielen Euroländern, vor allem im Süden, noch „fragil und anfällig“ ist. Senkt man in so einer Phase die Zinsen, dann könnten die Unternehmen mehr Kredite aufnehmen, um mit Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln. So die Theorie.

 

Die Praxis sieht aber schon länger anders aus. Die Probleme, die Unternehmen in Spanien, Italien oder Griechenland haben, hängen nicht etwa mit hohen Kreditzinsen zusammen, sondern damit, dass die Wirtschaftsstruktur in diesen Ländern nicht gesund ist. Außerdem ist es noch lange nicht ausgemacht, dass die erneute Senkung des Leitzinses überhaupt bei den Kreditnehmern ankommt. Das ist den EZB-Räten sicher bewusst. Insofern ist ihre Entscheidung wohl eher als psychologisches Signal zu deuten. Sie unterstreichen, dass die Notenbank wirklich alles tun wird, um den Zusammenhalt der Eurozone und die gemeinsame Währung zu stützen, wie Draghi dies immer wieder betont.

Dieser Kurs birgt aber große Risiken. Die offenbar unbegrenzte Bereitschaft der EZB, im Notfall mit ihren Mitteln einzugreifen, könnte die Reformbestrebungen in den Krisenländern zumindest bremsen. Harte Sparprogramme sind in keinem Land beliebt. Gerade die Erfolge Irlands oder Zyperns zeigen aber, dass sie durchaus sinnvoll sind. Auf der anderen Seite kann die hohe Liquidität, die derzeit an den Kapitalmärkten vorhanden ist, dazu führen, dass sich erneut Preisblasen bilden, die früher oder später auch platzen können. Gerade die extrem lockere Geldpolitik der amerikanischen Notenbank war eine der Ursachen der Finanzkrise von 2007, an deren Folgen die Weltwirtschaft noch immer nicht überwunden hat. Auch die EZB sollte daher frühzeitig andeuten, dass sie sich dessen bewusst ist und den Ausstieg aus dieser Politik nicht aus dem Blick verliert.

Für deutsche Anleger und jeden einzelnen Sparer bedeutet die zusätzliche Zinssenkung erst einmal nichts, denn auch jetzt schon ist das Zinsniveau so niedrig, dass mit den meisten Anlageformen keine Renditen mehr zu erzielen sind. Das könnte mittel- und langfristig die Altersvorsorge gefährden. Auch auf den Immobilienmärkten könnte sich der Trend zu steigenden Preisen verstärken. Für professionelle Investoren wächst der Druck, andere Anlagealternativen zu suchen, auch wenn diese mit höheren Risiken verbunden sind. Das sind Entwicklungen, die durch die anhaltende Niedrigzinsphase ohnehin schon vorhanden sind - die erneute Zinssenkung wird sie kaum verstärken, der Konjunktur aber auch nicht helfen.