Das ursprüngliche Auftaktkonzert des Böblinger Orgelfrühlings setzte nun als Nachholtermin am Wahlsonntag in St. Maria einen eindrucksvollen Schlusspunkt. Die japanische Kirchenmusikerin Shihono Higa improvisierte zum Film „The Navigator.“

Böblingen - Am Wahlsonntag trafen in Böblingen einige Zuhörer die Wahl, sich auf ein außergewöhnliches Konzerterlebnis einzulassen. In der Marienkirche holte die japanischen Organistin Shihono Higa ihr wegen Corona verschobenes Gastspiel im Rahmen des Böblinger Orgelfrühlings nach. Sie improvisierte zu dem Stummfilmklassiker „The Navigator“ mit Buster Keaton.

 

In dem Film aus den 1920er-Jahren spielt Keaton einen weltfremden Millionärssohn, der bei seiner Nachbarin (Kathryn McGuire) erst mit einem Heiratsantrag abblitzt, um dann nach langer Irrfahrt auf einem Ozeandampfer doch noch sein Glück zu finden.

Die Stimmungen des Films perfekt aufgegriffen

Shihono Higa gelang es in bravouröser Weise, die Stimmungen des Films aufzugreifen und an der Orgel zu unterstreichen. Entsprechend der jeweiligen Filmsituation unterstrich sie durch geschickte Registerauswahl und durch verschiedenste Melodie- oder Clusterpyramiden die Dramatik oder Heile-Welt-Szenarien. Dabei war die Organistin sehr präsent, mussten doch Registerwechsel oft nach wenigen Sekunden getätigt werden um den Spannungsbogen entsprechend zu unterstreichen. Von düsteren Prinzipalregistrierungen bis zum Vögel imitierenden Flötenregister, von brummigen Zungenregistern bis zu fulminanten Plenumklängen wählte sie dazu passende Klangfarben und konnte so die ganze Bandbreite der Böblinger Marienorgel zum Klingen bringen.

Dabei ließ es Shihono Higa nicht alleine dabei bewenden, den Film zu unterstreichen: Zahlreich waren Zitate, von bekannten Musikwerken oder Stilrichtungen. So etwa, wenn sie beim Hochzeitsantrag Mendelssohns Hochzeitsmarsch andeutet und bei der Ablehnung des Antrages jäh in eine Molltonart moduliert. Oder perfekt auch bei zahlreichen Slapstickszenen die Anleihe an den ebenfalls zu jener Zeit populären Stil des Ragtimemusikers Scott Joplin.

Symbiose zwischen Musik und Film

So erzeugte die farbige Registrierung und die Co-Kommentierung an der Orgel eine einzigartige Symbiose zwischen Musik und Film. Das zum Bedauern der Veranstalter nicht ganz so zahlreich erschienene Publikum hatte viel Freude an dem Konzert und bedankte sich mit lang anhaltendem Beifall.

Mit dem Nachholen des Orgelkinos ist der diesjährige Böblinger Orgelfrühling zu Ende gegangen. Pandemiebedingt gab es organisatorische Änderungen und Terminverschiebungen. Kommendes Jahr soll der Orgelfrühling möglichst wieder in der gewohnten Form stattfinden. „Allerdings wird Marion Kaßberger wegen der bevorstehenden Geburt ihres dritten Kindes im Oktober dieses Jahres eine Babypause bis nächsten Herbst nehmen“, sagt Hubertus Kless vom Böblinger Orgelförderverein.

Joachim Schönball vertritt Marion Kaßberger

Joachim Schönball, der schon seither als Organist innerhalb der Katholischen Kirchengemeinde Böblingens tätig ist, übernimmt ihre Vertretung. Schönball hat das Studium der Schulmusik in Stuttgart abgeschlossen und war bei der Betreuung des Stuttgarter Opernchores beteiligt. Derzeit macht er eine Zusatzausbildung zum hauptberuflichen Kirchenmusiker an der Stuttgarter Hochschule für Musik. Er wohnt mit seiner Familie auf der Diezenhalde. Trotz Babypause hat Marion Kaßberger einen Großteil der Veranstaltungen des Böblinger Orgelfrühlings 2022 zusammen mit Hubertus Kless noch mitgeplant und will auch selbst mitwirken – unter anderem bei dem in diesem Jahr ausgefallenen Familienkonzert.