Die Kleine Meerjungfrau in Kopenhagen feiert ihren 100. Geburtstag. Die Statue hat viel erlebt: Zweimal wurde sie sogar geköpft. Zu ihrem Jubiläum bekommt sie Gesellschaft von 100 lebendigen Nixen.

Kopenhagen - Meerjungfrauen, so erzählt es uns der Dichter Hans Christian Andersen, werden 300 Jahre alt, ehe sie zu Meeresschaum zerfallen, falls ihnen nicht zuvor die Liebe eines Irdischen eine unsterbliche Seele schenkte. Insofern sind hundert Jahre kein Alter für so eine Nixe. Doch weil keine von diesen berühmter ist als jene aus Andersens Märchen, und weil wir in einer schnelllebigen Epoche leben, feiert Kopenhagen jetzt dennoch den runden Geburtstag mit einer großen Fete.

 

Am 23. August 1913 hat man am Langelinie-Kai die vom Bildhauer Edvard Eriksen geschaffene Bronze-Skulptur enthüllt, die zum Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt wurde. Zum Jubiläum gibt es Freibier, ein Musical, den Aufzug der Tivoli-Garde, und hundert Badenymphen werden ins Wasser springen, um mit ihren Körpern die Zahl Hundert zu formen.

Ein Besuch bei der Meerjungfrau sei Pflichtprogramm für alle Touristen, sagt der Fremdenführer Dirk Evers, der ungezählte Busladungen Neugieriger an der Statue vorbeigeschleust hat. „Niedlich“, „hübsch“, „aber so klein“ sind die typischen Reaktionen derer, die sie zum ersten Mal sehen, denn da ragt keine Freiheitsstatue aus dem Wasser empor. Ein 1,20 m hohes Püppchen sitzt ufernah auf ihrem Stein im Hafenbecken und blickt sehnsüchtig dorthin, wo einst das offene Meer war, jetzt aber Baukräne und Hochhäuser die Aussicht beeinträchtigen. In Andersens Märchen sehnt sie sich nach dem Prinzen, den sie einst vor dem Ertrinken rettete. Er aber glaubt, eine andere habe ihn geborgen und schenkt dieser sein Herz und nicht dem traurigen Nixlein.

Vorbild war eine Ballerina am Königlichen Ballett

Im Märchen muss sie der Seehexe ihre Zunge opfern, um menschliche Gestalt annehmen zu können, und bei jedem Schritt auf Erdenboden fährt ihr der Schmerz wie Messer durch die Beine. Auch ihr Bildnis am Langelinie-Kai hat einiges ertragen müssen. Wenige Frauen sind so viel fotografiert, betätschelt und umschlungen worden wie sie, ein Bild Arm in Arm mit der Meerjungfrau zählt zu den beliebtesten Souvenirs von Kopenhagen. Und weil H.C. Andersen in China fast so populär ist wie in seiner Heimat, schmückte die originale Statue den dänischen Pavillon, als 2010 in Shanghai die Weltausstellung stattfand. Am Langelinie-Kai gab es unterdessen eine Video-Installation zu sehen, auf der über eine recht schlechte Internet-Verbindung die Expo zugeschaltet war.

Die Reise der Statue ins ferne Asien war damals sehr umstritten. Doch die Meerjungfrau hat Schlimmeres erlebt: Zweimal hat man ihr den Kopf abgesägt, einmal den Arm. Immer wieder haben Dummköpfe sie bemalt, verkleidet oder für politische Demonstrationen missbraucht. Der erste, der ihr den Kopf stahl, soll der Happening-Künstler Jørgen Nash gewesen sein. In seinen Memoiren schrieb er, er habe das Haupt in einem nahen Moor versenkt. Ob das stimmt, weiß nur er, gefunden wurde der Kopf nie wieder. Aber da es ein Gipsmodell gibt, konnte er nachgegossen werden.

Er trägt die Züge der Tänzerin und Schauspielerin Ellen Price, die damals der Star am Königlichen Theater war. Dort hatte 1909 ein Ballett des dänischen Komponisten Fini Henriques über Andersens Meerjungfrau Premiere. Ellen Price tanzte die Titelrolle, und in seiner Loge verliebte sich der Bierbrauer und Kunstmäzen Carl Jacobsen so unsterblich in die Primaballerina, dass er die Bronzeskulptur in Auftrag gab. Eriksen bat Price in seine Werkstatt. Diese wimmelte ihn ab: „Eine königliche Solotänzerin sitzt nicht Modell“. So formte Eriksen zwar das Antlitz nach Bildern der Tänzerin. Den Körper der Skulptur aber modelliert er nach seiner eigenen Frau Eline, und das war keine schlechte Wahl, denn wenn man zeitgenössischen Fotos Glauben schenken darf, war Eline Eriksen zumindest ebenso schön wie Ellen Price.

2600 Euro kostet eine Mini-Nixe

Jetzt wachen die Eriksen-Erben akribisch über das, was ihre Vorfahren schufen. Sie fordern Lizenzgebühren für all den Souvenir-Kitsch, der um die berühmte Statue entstanden ist. Sie ziehen wegen Verfälschungen vor Gericht und schicken hohe Rechnungen an Zeitungen, die die Urheberrechte verletzen. Abgebildet werden darf die Meerjungfrau nur dann, wenn dies nachrichtlich begründet ist, nicht aber, um zum Beispiel eine dänische Fremdenverkehrskampagne zu illustrieren.

Gegen die kommerzielle Ausbeutung haben die Erben freilich nichts. Daher sitzen in mehreren amerikanischen Städten offizielle Kopien des Kopenhagener Wahrzeichens, und wer Lust hat, kann sich eine Meerjungfrau auch in den eigenen Garten holen. 2600 Euro kostet die Nixe im Miniformat. Wer sie in Originalgröße haben möchte, muss knapp 75 000 Euro zahlen, plus Frachtkosten für die 150 Kilogramm schwere Skulptur.