Tausende Inder sollen sich Examen gekauft haben – ein riesiger Schmiergeldskandal. Als die Affäre auffliegt, sterben gleich reihenweise Menschen.

Delhi - Akshay Singh war gerade dabei, die Familie eines der Todesopfer zu interviewen, als ihm unwohl wurde. „Plötzlich begann er zu zittern, Speichel tropfte aus seinem Mund“, erzählt einer der Interviewten. „Dann wurde er bewusstlos.“ Die herbeigerufenen Ärzte konnten den 38-jährigen Journalisten nur noch für tot erklären. Bei der Autopsie fand man weder innere noch äußere Verletzungen. Man tippte auf eine Herzattacke.

 

Politiker der oppositionellen Kongresspartei hatten Singh noch gewarnt, er riskiere sein Leben. Der Reporter des Fernsehsenders Aaj Tak war Anfang Juli von Delhi in den zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh gefahren, um in einem spektakulären Examensschwindel zu recherchieren, der immer mehr zu einem blutigen Politkrimi gerät.

Medien sprechen bereits von einem der größten Betrugsskandale in der Geschichte Indiens. Laut Anklage soll es an der staatlichen Zulassungsbehörde Vyapam über Jahre einen systematischen Handel mit Noten gegeben haben. Tausende Inder sollen sich – für Schmiergelder zwischen 13 000 und 100 000 Euro – gute Examen gekauft haben, um Jobs im Staatsdienst oder die Zulassung zum Studium zu ergattern. Sie arbeiten nun etwa als Lehrer, Ärzte, Tierärzte oder Polizisten.

Dieser Skandal sprengt auch indische Maßstäbe

Nun sind Mauscheleien in ganz Südasien gang und gäbe. Doch die Dimension der jüngsten Affäre sprengt auch indische Maßstäbe. Über die Jahre sind laut Medien Schmiergelder in dreistelliger Millionenhöhe geflossen. Auch Politiker und Beamte sollen abkassiert haben. Inzwischen wird gegen 2500 Menschen, darunter Politiker, Beamte, Mittelsmänner, Studenten und ihre Eltern, ermittelt, Hunderte wurden festgenommen.

Doch die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Seit der Megaskandal aufgeflogen ist, erlebt das Land eine Welle von mysteriösen Todesfällen. Selbstmorde, Verkehrsunfälle, Herzattacken, Vergiftungen: nach Recherchen der Zeitung „Times of India“ starben 46 Menschen binnen zwei Jahren unter dubiosen Umständen. Die Opfer waren Angeklagte, Mitwisser, Zeugen oder Informanten im Vyapam-Skandal, wie die Affäre nach der Zulassungsbehörde genannt wird.

Nur wenige Tage vor Singh war der Tierarzt Narendra Singh Tomar im Gefängnis gestorben. Der 29-Jährige soll ebenfalls einer Herzattacke erlegen sein. Ein involvierter Professor wurde tot in einem Hotelzimmer in der Hauptstadt Delhi aufgefunden, eine angeklagte Studentin soll sich vor einen Zug geworfen haben. Das prominenteste Opfer war Shailesh Yadav, Sohn des Gouverneurs von Madhya Pradesh, dessen Leiche in Uttar Pradesh gefunden wurde.

Sind selbst Minister in die Affäre verwickelt?

„Ich vermute, dass diese plötzlichen Herztode bei verschiedenen Opfern durch Gift verursacht wurden“, sagte der Bürgerrechtsaktivist Anand Rai indischen Medien. Rai war es, der vor zwei Jahren mit einer Anzeige die Ermittlungen ins Rollen brachte. Nun fürchtet er um sein Leben.

Kritiker glauben, dass auch Minister und höchste Beamte in den Megaskandal verwickelt sind – bis hin zur Familie von Regierungschef Shivraj Singh Chouhan. Chouhan versuche, die Mordwelle zu „vertuschen“, empörte sich Digvijay Singh von der oppositionellen Kongresspartei. Tatsächlich scheint sich die Landesregierung nicht allzu energisch um Aufklärung zu bemühen. Die meisten Toten „starben eines natürlichen Todes“, bügelte Babulal Gaur, Innenminister von Madhya Pradesh, Fragen der indischen Agentur PTI ab. „Die Angeklagten wurden krank und starben.“

Viele fürchten, dass die Drahtzieher am Ende ungeschoren davonkommen. Diese Sorge scheint das Höchste Gericht Indiens zu teilen, das nun Madhya Pradesh die Zuständigkeit für den Fall entzog. Stattdessen beauftragte es die Ermittlungsbehörde Central Bureau of Investigation (CBI), Indiens Gegenstück zum FBI, ab Montag die Ermittlungen an sich zu nehmen. Experten glauben allerdings, dass sich solche Skandale nicht auf Madhya Pradesh beschränken. „Vyapam ist nur die Spitze des Eisbergs. Dies geschieht im ganzen Land“, meint der frühere Richter Chandresh Bhushan.