Hunderttausende Wohnungen werden gebraucht, aber zu wenige gebaut. Harsche Kritik an der Bundesregierung kommt von der Baubranche, den Gewerkschaften und dem Mieterbund. Wie ist die tatsächliche Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Der Deutsche Mieterbund und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben die Wohnungspolitik der Bundesregierung zur Halbzeit der Legislatur als „mangelhaft“ kritisiert und vor einer Verschärfung der Wohnungskrise gewarnt. Es fehlten mehr als 700 000 bezahlbare Mietwohnungen, viele davon im sozialen Wohnungsbau, teilten die beiden Organisationen am Mittwoch (6. Dezember) in Berlin mit.

 

Wie ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt?

Den Angaben von DGB und Mieterbund zufolge hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den vergangenen beiden Jahren dramatisch verschlechtert: Allein 2022 seien die Mieten bundesweit im Schnitt um vier Prozent gestiegen. Das Vorhaben der Bundesregierung, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu bauen, davon 100 000 öffentlich geförderte, wurde in den vergangenen zwei Jahren deutlich verpasst.

Von den 2022 rund 295 000 neu gebauten Wohnungen seien weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen. Zudem gingen die erteilten Baugenehmigungen im ersten Halbjahr 2023 um 27,2 Prozent zurück.

Wie hoch ist die Belastung durch Mieten?

„In Deutschland sind Millionen Mieterinnen und Mieter mit ihren Wohnkosten überlastet und die Mieten werden weiter steigen“, bemängelt Lukas Siebenkotten, Präsident des Mieterbundes.

Schon heute zahlten 3,1 Millionen der insgesamt 21 Millionen Mieterhaushalte mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Kaltmiete und die Heizkosten. 5,5 Millionen Haushalte können laut DGB und Mieterbund nicht angemessen heizen.

Was sind Indexmieten?

Bei Indexmietverträgen ist die Miete an den Verbraucherpreisindex gekoppelt, im Gegenzug verzichten Vermieter auf alle sonstigen Anpassungen. Laut DGB und Mieterbund enthalten 30 Prozent der neu abgeschlossenen Mietverträge in den sechs größten deutschen Städten eine Indexierung. Siebenkotten bezeichnete Indexmieten neben dem möblierten Wohnen als „die neuen Kostenfallen“.

Bei Indexmieten können die Mieten – sprich der Mietzins – jährlich nach dem Wert des Verbraucherpreisindex für Deutschland erhöht werden, den das Statistische Bundesamt ermittelt. Die Miete entwickelt sich folglich wie die Lebenshaltungskosten. Diese Regelung lässt Paragraph 557b des Bürgerlichen Gesetzbuches ausdrücklich zu.

Nimmt die Zahl der Indexmietverträge zu?

Nach Einschätzung des Berliner Mietervereins haben die Indexmietverträge zugenommen. Über viele Jahre seien sie „eher ein Nischenprodukt“ gewesen, erläutert Geschäftsführer Reiner Wild. Der Deutsche Mieterbund bestätigt diese Entwicklung. „Wir haben Rückmeldungen aus Mietervereinen wie aus Hamburg, dass bis zur Hälfte aller Mietverträge, die im Moment abgeschlossen werden, Index- oder Staffelmietverträge sind“, erläutert Siebenkotten.

Auch der Eigentümerverband Haus und Grund in Berlin geht von einem Zuwachs aus. „Der Mietvertrag mit der ortsüblichen Vergleichsmiete ist aber immer noch der am weitesten verbreitete“, erklärt Geschäftsführer Gerold Happ.

Wie sieht die Immobilien- und Wohnungsstatistik in Deutschland aus?

Zum Jahresende 2022 gab es in Deutschland 19,5 Millionen Wohngebäude mit rund 43,4 Millionen Wohnungen. Das waren 0,7 Prozent oder 282 800 Wohnungen mehr als Ende 2021.

Diese Veränderung ergibt sich aus 295 300 im Jahr 2022 neu gebauten Wohnungen abzüglich 12 500 Wohnungen, die beispielsweise durch den Abriss von Gebäuden oder die Umwidmung von Wohn- zu Gewerbeflächen aus dem Wohnungsbestand fielen.

Wohnungsbestand

Im Vergleich zum Jahresende 2012 erhöhte sich der Wohnungsbestand um 6,3 Prozent oder 2,6 Millionen Wohnungen.

Die Wohnfläche vergrößerte sich um 7,4 Prozent auf vier Milliarden Quadratmeter.

Damit wuchsen der Wohnungsbestand und die Wohnfläche in den vergangenen zehn Jahren stärker als die Bevölkerung in Deutschland, die in diesem Zeitraum um 4,8 Prozent beziehungsweise 3,8 Millionen auf 84,4 Millionen Menschen zunahm.

Eigentum/Miete

Gemäß der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistikamtes leben derzeit 42,1 Prozent der deutschen Haushalte in den eigenen vier Wänden, 57,9 Prozent sind Mieterhaushalte.

Deutschland ist damit das Mieterland Nummer eins in der EU. Deutlich niedriger lagen die Anteile unter anderem Frankreich (35,3 Prozent), Spanien (24,2 Prozent) oder Polen (13,2 Prozent).

Mietbelastung

Die durchschnittliche Mietbelastungsquote vom zur Verfügung stehenden Monatseinkommen beträgt 27,8 Prozent.

Wohnfläche

Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person beträgt 55,5 Quadratmeter.

Alter der Bewohner

Haushalte, in denen die Haupteinkommensbezieher mindestens 65 Jahre alt sind, nutzten im Jahr 2022 pro Person durchschnittlich 68,5 Quadratmeter Wohnfläche.

27 Prozent der alleinlebenden über 65-Jährigen wohnten 2022 auf je mindestens 100 Quadratmetern.

Bei der nächstjüngeren Altersgruppe, den 45- bis 64-Jährigen, sind 54,8 Quadratmeter Wohnfläche.

Eigentumsfläche

Wer im Eigentum lebt, hatte 2022 im Durchschnitt 65,1 Quadratmeter zur Verfügung, in einer Mietwohnung waren es mit 48,5 Quadratmetern deutlich weniger.

Wohnungsalter

Je länger es zurückliegt, desto mehr Wohnfläche haben Haushalte durchschnittlich zur Verfügung. So hatten Haushalte, die vor 1999 in ihre Wohnung gezogen waren, 2022 im Schnitt 69,2 Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung.

Bei Haushalten, die erst seit frühestens 2019 in ihrer Wohnung lebten, waren es 47,5 Quadratmeter.

29 Prozent aller Haushalte in Deutschland hatten ein Einzugsjahr vor 1999 – das waren 11,4 Millionen Haushalte.

Stadt-Land-Mietgefälle

Haushalte in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern hatten nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2022 eine durchschnittliche Nettokaltmiete von 8,30 Euro pro Quadratmeter.

Das waren 30 Prozent mehr als in Kleinstädten und ländlichen Gemeinden, wo die durchschnittliche Nettokaltmiete bei 6,40 Euro lag.

In mittelgroßen Städten mit 20 000 bis 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mussten private Haushalte im Schnitt 6,90 Euro pro Quadratmeter zahlen.

Zimmeranzahl

Rund 8,6 Millionen Menschen in Deutschland lebten 2021 in überbelegten Wohnungen. Das waren 10,5 Prozent Bevölkerung.

Als überbelegt gilt eine Wohnung, wenn sie über zu wenige Zimmer im Verhältnis zur Personenzahl verfügt.

Bei der Bevölkerung in Haushalten mit Kindern lag die Überbelegungsquote 2021 bei 15,9 Prozent.

Besonders betroffen waren Menschen in Haushalten, in denen zwei Erwachsene mit mindestens drei Kindern zusammenwohnten (30,7 Prozent), gefolgt von Alleinerziehenden und deren Kindern (28,4 Prozent).