Im Wilhelma-Theater zeigen Studenten der Stuttgarter Schauspielschule in „Bis zum letzten Tanz“ eine sehenswerte Zeitreise in das Jahr der Machtergreifung der Nazis. Das Leben der Figuren gerät furchtbar aus den Fugen.

Stuttgart - „Das war unser aller Nest“, sagt Luisa, „meine Wohnung.“ Wehmütig sitzt sie am Klavier und erinnert sich. Das Schicksalsjahr 1933 wird in einem schnellen Szenenreigen wieder lebendig. In Luisas Wohnung in der Werastraße gingen ihre Freunde ein und aus, dort haben sie gefeiert, getrunken, gesungen, herumgealbert, sich verliebt. Und versucht, die Welt da draußen möglichst fern zu halten.

 

Am Silvesterabend 1932 gelingt das noch ganz gut. Die Stimmung ist ausgelassen, „das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“ singen die acht jungen Leute, hüpfen Charleston tanzend über die schlichte Bühne, die mit wenigen Requisiten das Zeitkolorit unterstreicht. Paul und Helene sind ein Paar und beim Aufsagen der Silvesterwünsche ist viel Pathos im Spiel: Helene wünscht sich ein Kind von ihrem Freund, dem Polizisten. Die von allen bewunderte Suse, Tänzerin am Staatstheater, hätte gern ein Solo im nächsten Jahr, und Luisa, die Musikerin, will ein großes Engagement.

Der Einbruch des Politischen

Sie könnte es bekommen – aber der Preis ist ihr zu hoch. Vor dem Gauleiter spielen, das wird sie nicht. Suse bekommt kein Solo, sondern wird als Jüdin aus dem Ballett geschmissen. „Würden Sie mir helfen? Würden Sie mich aufnehmen?“ fragt die bedrängte Künstlerin das Publikum. Der Einbruch des Politischen in Private, das ist das Thema des Stücks „Der letzte Tanz“, das der dritte Jahrgang der Schauspielstudentinnen und Studenten an der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst jetzt im Wilhelma-Theater aufgeführt hat. Acht junge Leute spielen acht Altersgenossen, deren Leben im Jahr der Machtübernahme durch die Nazis fürchterlich aus den Fugen gerät.

Die nüchterne Inszenierung des Norwegers Kjell Moberg setzt nicht auf Effekte, sondern lässt den jungen Schauspielern Raum für kleine Charakterstudien. Nicht alles wirkt stimmig, die Liebesgeschichte unter zwei Frauen bleibt hölzern und steif und manche Gefühlsausbrüche wären etwas leiser mehr unter die Haut gegangen. Aber wie Giovanni Funiati mit wenigen Worten seine Rolle als Überbringer von guten und von schlechten Nachrichten füllt und wie ein Spamfilter die Briefe für Suse sortiert, unter deren Fanpost sich zunehmend Hassbriefe finden, das hat Klasse.

Die Menschen hinter Stolpersteinen

Dass das Stück die Anfänge des Nationalsozialismus thematisiert, ist auch eine Art Auftrag im Zusammenhang mit dem Jubiläum, das die Schauspielschule in diesem Jahr feiert. Vor 75 Jahren wurde die Hochschule gegründet und das 90-minütige Drama wird so auch eine Art Erkundung der Stuttgarter Zustände zu dieser Zeit. Christian Schönfelder, Dramaturg am Jungen Ensemble Stuttgart, hat den Text geschrieben, und es ist ihm sehr gut gelungen, in den Texten der acht Protagonisten die Zeitläufte und auch viel Lokalkolorit zu spiegeln, ohne dass sie zu bloßen Abziehbildern geraten. Die Tänzerin Suse Rosen gab es wirklich, ein Stolperstein erinnert in der Werastraße an sie.

Wie schnell man vom Mitläufer zum Täter wider Willen werden kann, das verkörpert Paul (Sebastian Kempf) mit allen Widersprüchen bis zum bitteren Ende. Der lebenslustige Polizist und Kumpel möchte doch nur, dass alles bleibt wie es ist, dass er mit seinem besten Freund Kalle weiterhin im Hinterhof saufen und herumalbern kann. Doch Kalle ist Kommunist. „Wie lange können ein Kommunist, ein Jude und ein Polizist befreundet sein?“ fragt ein Freund einmal.

Es kommt wie es kommen muss. Oder hätte es doch auch anders enden können als mit dem Scherbenhaufen einer Freundschaft, der bei der letzten Szene am Silvesterabend 1933 vorgeführt wird? Wann ist der Zeitpunkt, an dem sich der Schneeball noch stoppen lässt, bevor er zur Lawine wird? „Du musst Dich entscheiden“ schreit Helene ihren geliebten Paul einmal an. „Dafür ist es zu spät“, sagt der nur.

Weitere Aufführungen:
13., 14. und 21. Oktober, 4. und 18. November, sowie 2., 3., 7. und 8. Dezember