Omikron führt die Stimmung auf den Tiefpunkt. Beide Stuttgarter Musicals fallen aus. Theaterchefs melden Umsatzeinbrüche. Wirte befürchten eine Sperrstunde. Es gibt aber auch Freudensprünge wie im Kulturkiosk. Ein Streifzug durch die Stadt vor dem Fest.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Noch immer tanzen die Vampire nicht. Das erfolgreichste deutsche Musical aller Zeiten muss weiter pausieren. Die Hoffnung, dass es vorm Fest weitergehen kann mit „Sei bereit“ und steilen Zähnen, hat sich zerschlagen – denn die Gier des Virus ist unstillbar. Mittlerweile ist auch die andere Seite des SI-Centrums betroffen: Auch bei „Aladdin“ gab es bei den täglichen PCR-Tests backstage positive Befunde. „Dank der strikten räumlichen Trennung von Gästen und Cast/Crew war das Publikum zu keinem Zeitpunkt gefährdet“, betont Stage-Sprecher Stephan Jaekel. Ob am 28. Dezember wieder gespielt werden kann, hängt von den nächsten Testergebnissen ab. „Das Wichtigste ist“, sagt Musicalstar Maximilian Mann, der Dschinni, „dass es allen den Umständen entsprechend gut geht.“

 

Der Spielbetrieb lohnt kaum – der Renitenz-Chef macht trotzdem weiter

Unten im Kessel denkt Sebastian Weingarten, der Chef des Renitenz-Theaters, über wirtschaftliche Vernunft und kulturellen Auftrag nach. Würde es nur nach den Finanzen gehen, müsste er schließen. Weil er den Saal nur zur Hälfte füllen kann und weil viele aus Angst vor Omikron stornieren, lohnt sich der Spielbetrieb kaum. Weingarten macht trotzdem weiter. Auftritte von Auswärtigen werden gestrichen, weil die Kosten für Anreise und Hotelübernachtung höher sind als die Einnahmen. Aber die Local Heros treten auf.

Christoph Sonntag ist happy, im Renitenz wenigstens vor 100 spielen zu können. Und der Intendant wird im Hausprogramm „Bopser 9 “ an Silvester selbst auf der Bühne stehen – und hofft, dass dann kein kompletter Lockdown, den manche am Horizont bereits aufziehen sehen, notwendig wird.

Im Sommer 2023 hört Weingarten als Intendant auf

Wahrscheinlich hat sich Sebastian Weingarten das Ende seiner Zeit als Intendant einfacher vorgestellt. „Die Entscheidung, im Sommer 2023 aufzuhören, habe ich vor der Pandemie getroffen“, sagt er, „dann bin ich 67 Jahre alt.“ Der Chef freut sich darauf, dann öfter bei seinem Mann in Frankreich zu sein und Kulturprojekte zu realisieren, die ihm am Herzen liegen, „ohne die 24-Stunden-Verantwortung fürs gesamte Theater“.

Frl. Wommy Wonder hat sich zu einem kühnen Versprechen verleiten lassen. Sollte sie am 25. Dezember im Theaterhaus ihre Weihnachtsshow spielen können, weil kein Lockdown sie stoppt, scherzt die Travestie-Lady bei Facebook, werde sie „nackt über die Königstraße“ rennen. Wird Wommy flitzen? „War nur ein Spaß“, sagt sie, „nackt will mich keiner sehen.“ Finanziell lohne sich ein halb voller Saal nicht, dessen Publikum weiter schrumpft, weil „etwa ein Drittel der Karten zurückgegeben wird“. Aber es gehe um mehr. Man müsse ein Zeichen setzen, dass sich Kultur nicht unterkriegen lässt. Michael Panzer, so heißt der Travestiekünstler, überlegt: „Vielleicht wäre ein harter Lockdown besser als dieses ,Man weiß nicht, was geht‘.“ Ohne Lockdown könne der Staat sagen, ihr dürft arbeiten, wieso braucht ihr Hilfen?

Die Jüngeren verabreden sich im Christmas Garden wie früher auf dem Weihnachtsmarkt

Weihnachten mit wenigen Kontakten – vor einem Jahr hat’s Stuttgart schon üben können. Damals war nicht mal der Lichterglanz in der Wilhelma erlaubt. Zwar kommt der Christmas Garden diesmal nur auf etwa die Hälfte der Besucherzahl von 2019, trotzdem hört Veranstalter Christian Doll an manchen Tagen, es sei zu voll. „Wir fahren einen unfassbar hohen Personalaufwand und haben Engstellen abgebaut“, sagt er. Seine Beobachtung: Das Publikum hat sich verjüngt. „Viele Ältere bleiben daheim“, stellt er fest, „die Jüngeren verabreden sich nach der Arbeit bei uns, wie sie sich früher auf dem Weihnachtsmarkt verabredet haben.“

DJane ist enttäuscht, dass sie auch mit leiser Musik nicht auflegen darf

Weil Clubs und Discos geschlossen sind, werden Bars wie das Jigger & Spoon zum Treff des Ausgehpublikums. Ihre Silvesterparty mit DJane Alegra Cole haben die Wirte abgesagt (stattdessen gibt’s normalen Barbetrieb). Im Brief der Gaststättenbehörde steht, laute DJ-Musik sei unzulässig. Doch wann gilt Musik als laut? Eine Dezibelzahl ist nicht angegeben. „Hintergrundmusik“ ist erlaubt – laut Stadt auch mit DJ. „Als Event-DJane lege ich oft auf Firmenveranstaltungen auf, bei denen keine laute Partymusik gespielt wird“, sagt Alegra Cole. Enttäuscht ist sie, dass man ihr kurzfristig abgesagt hat. „Ein DJ-Event ist momentan schwierig“, findet Mark Tzschoppe, einer der Jigger-Chefs. An Silvester würden alle darauf schauen, wer gegen die Regeln verstoße. Ohne DJane will die Bar auf der sicheren Seite sein. Seine Sorge ist, dass eine Sperrstunde kommt.

„Perspektive Pop“ fördert Konzerte im Kulturkiosk mit 71.000 Euro

Die Stimmung vorm Fest ist vielerorts auf dem Tiefpunkt. Im Kulturkiosk des Züblin-Parkhauses aber macht man Freudensprünge. Mit dem Projekt „Tiny Window Concerts“ hat es Betreiberin Sara Dahme ins Programm „Perspektive Pop“ des Kunstministeriums geschafft. 71 817 Euro bekommt sie für Konzerte, die sie in der Galerie des Kulturkiosks am Fenster und auf dem oberen Parkdeck veranstaltet. Alles wird gefilmt und ins Netz gestellt. Davon profitieren Bands, Videoteams, Techniker etc. Für die „Bescherung“ von Staatssekretärin Petra Olschowski vorm Fest gibt’s viel Lob. Kreativ geht’s aus der Krise – wer sich dazu impfen lässt, hilft mit, die unstillbare Gier von Omikron zu stoppen.