Stars lieben die Mode von Viktor & Rolf. Aber das gefeierte Duo entwirft nicht nur Kleider, sondern lädt seine Entwürfe mit durchaus provokanten Botschaften auf. Wie das?

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Wer mit solch einem Mantel vor die Tür geht, muss sich nicht wundern, wenn er Gelächter und spöttische Kommentare erntet. Man hört die Sprüche förmlich: „Na, du Schlafmütze, nicht aus dem Bett gekommen?“ oder „Guten Morgen!!!“. Aber es ist auch wirklich ulkig, was Viktor & Rolf sich da ausgedacht haben: einen Mantel, der wie laufendes Bettzeug ausschaut. Der wattierte Stoff könnte als Decke genutzt werden – und anstelle eines Kragens stehen links und rechts vom Kopf aufrecht große Kissen.

 

Aber wer sagt schon, dass Mode tragbar sein muss? Viktor & Rolf werden zwar gern als Modedesigner bezeichnet, aber Frau wird sich dreimal überlegen, ob sie wirklich mit einem Kleid auf die Straße geht, das nicht den Körper umhüllt – sondern neben ihr quasi schwebt. Oder die Tüllroben: Sie ragen senkrecht in die Luft, während der Kopf irgendwo hinterm Stoff versteckt ist.

Die Wurzeln von V & R sind in der höfischen Mode von Ludwig XIV

Das niederländische Duo wurde nicht trotz, sondern wegen seiner aberwitzigen Kreationen weltberühmt. Vor allem bei Promis ist das Label V&R beliebt – ob bei Rihanna und Beyoncé, Lady Gaga, Cate Blanchett oder auch Scarlett Johansson. Aber wenn man in diesen Tagen durch die Kunsthalle München schlendert, erkennt man auf Anhieb, dass Viktor Horsting und Rolf Snoeren durchaus auch Künstler sind. Sie selbst bezeichnen sich als „Fashion Artists“ und unterscheiden sich klar von anderen Modeschöpfern. Wenn sie Hosen, Kleider oder Mäntel entwerfen, reflektieren sie immer auch gesellschaftliche Fragen und Traditionen.

Wie bitte? Ein Ballkleid oder ein sündhaft teurer Anzug als gesellschaftliches Statement? Kann man das System kritisch hinterfragen, das man doch so deutlich repräsentiert? Sicher ist: Viktor und Rolf sind durch und durch Nostalgiker. Die zwei Jungs, die sich Ende der 1980er Jahre beim Studium an der Kunsthochschule in Arnheim kennenlernten, scheinen eine besondere Leidenschaft für feudalen Glanz zu haben. Viele ihrer Entwürfe lassen unmittelbar an höfische Eleganz zu Zeiten von Ludwig XIV. denken. Zu ihrer Liebe zu langen Roben gehört auch der üppige Einsatz von Tüll.

Verblasster Glamour aus der Mottenkiste

Aber hoppla, jemand hat in das opulente Tüllkleid ein riesiges Loch geschnitten, durch das man lässig ein Ofenrohr schieben könnte. Immer wieder werden Luxus und Schönheit gebrochen durch Störmomente. Auch das mit Pailletten besetzte Ballkleid entpuppt sich bei näherem Hinsehen als marode.

Der Stoff ist ausgefranst, Teile der Applikationen scheinen sich gelöst zu haben – grad so, als hätte hier jemand ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten aus der Mottenkiste gezogen, nachdem sich bereits allerhand Getier über den einstigen Glamour hergemacht hat.

Viktor & Rolf hinterfragen das Selbstverständliche auf vielerlei Weise – und gern auch spielerisch und spaßig. Als sie 2005 in Mailand einen Flagship-Store eröffneten, stellten sie den Laden buchstäblich auf den Kopf. Die Stühle hingen an der Decke, auf der Parkett verlegt war. Die Kronleuchter wuchsen dagegen aus dem Boden. In der Münchener Ausstellung kann man noch einen Eindruck bekommen, wie die Welt hier auf den Kopf gestellt wurde.

Der Flacon ihrer „Flower bomb“ erinnert an eine Handgranate

Auch wenn man sich eigentlich nicht für Mode interessiert, ist die Schau sehr sehenswert, weil viele der Kleidungsstücke beredt sind. So wurden etwa auf einem kurzen Mantel mit Stoff zwei riesige Buchstaben vor dem Oberkörper geformt: NO. Dieses Nein kann man als Motto vieler Kreationen von V&R betrachten, die sich stromlinienförmigem Schick fast aggressiv verweigern. Das Parfüm „Flowerbomb“, das sie auf den Markt brachten, will eine „Waffe zur Massenverführung“ sein – und der Flacon der Duftexplosion erinnert verdächtig an eine Handgranate.

Herausfordernd und kampfbereit sind auch die Textbotschaften, die sie auf verschiedensten Ballkleidern hinterlassen haben. „I’m not shy, I just don’t like you“, steht auf einem langen Kleid, dessen meterweit ausladender Rock alles und jeden auf Abstand hält.

In der Kunsthalle München wurde ein verspiegelter Ballsaal eingerichtet. Kronleuchter lassen an höfische Feste denken, die langen Kleider auf Podesten verweisen dagegen in die Gegenwart und bringen zum Ausdruck, was heutige Stars und Sternchen insgeheim denken könnten, wenn sie sich auf dem roten Teppich feiern lassen. „No Fotos please“, steht da auf einem Kleid. Dann wieder verweist „Trust me, I am a liar“ auf die falsche Heldenverehrung mancher Fans, die vor lauter blinder Gefolgschaft den Verstand abschalten.

Die Plakataktion „Viktor & Rolf im Streik“ hat sie bekannt gemacht

Mode, wie Viktor und Rolf sie verstehen, will nicht die Bedeutung der Trägerinnen und Träger zum Ausdruck bringen, sondern Machtstrukturen und gesellschaftliche Zusammenhänge bewusst machen. Wenn sie Kleider aus grober brauner Jute nutzen, die man von Kaffeesäcken kennt, kommt man kaum umhin, über Nachhaltigkeit nachzudenken.

Und wenn bei einem Kleid gleich noch eine Art kubistischer Maske mitgeliefert wird, die das Gesicht der Frau verdeckt, dann ist das nur auf den ersten Blick amüsant – und sagt viel über Rollen aus, die sich nicht um das Individuum scheren.

Letztlich sabotieren Viktor Horsting und Rolf Snoeren mit ihren Kreationen den Betrieb, in den sie immer schon hineinwollten. Stromlinienförmige Kollektionen waren noch nie ihre Sache. Als man zu Beginn ihrer Karriere genau das von ihnen erwartete, lenkten sie auf ihre Weise die Aufmerksamkeit auf sich – mit einer Plakataktion, bei der sie Paris tapezierten mit der Botschaft „Viktor & Rolf im Streik“.