Die Stuttgarter Sexualberaterin Claudia Huber erzählt heute in unserer Kolumne, warum guter Sex nicht nur Kopfsache ist – und fragt sich, warum wir uns nicht intensiver mit unseren Körpern auseinandersetzen.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Ich kenne eine Frau, die hat ständig davon fantasiert, anderen beim Sex zuzugucken. Sie ist sicher ein bisschen voyeuristisch veranlagt, was prinzipiell auch nicht schlimm ist. Aber heute sind ihre Sexfantasien anders: Sie spielt in ihrem Kopfkino in den Szenen mit, erlebt sie aus der Ich-Perspektive und ist damit glücklicher. Was ist bei ihr passiert?

 

Etwas, das noch viel mehr Menschen erleben könnten, wenn wir uns vom Irrglauben befeien würden, dass man guten Sex entweder hat oder nicht. Und zwar nicht nur, was die Qualitäten angeht, einen Partner zu befriedigen – sondern auch, wie wir selbst Lust empfinden. Deshalb lasst uns über ein wichtiges Thema sprechen: Sexological Bodywork oder Körperarbeit im Bereich Sexualität. Ein weitläufig kaum bekannter Bereich, in dem es um das handfeste sexuelle Lernen geht.

Ich weiß, wenn es um Sex geht, sind viele von uns unglaublich verletzlich. Wir sollten trotzdem darüber reden.

Fantasien ohne echten Mehrwert für den Körper

Das Problem fängt schon damit an, dass Masturbation negativ besetzt ist. Denn über Selbstbefriedigung können wir enorm viel Genuss lernen – wenn sie nur nicht so unterschätzt wäre. Zweitens gibt es kaum Bewusstsein dafür, dass der Körper lernen muss, wenn er sein volles Lust-Potenzial entfalten will. Und das fängt nunmal damit an, wie wir uns selbst berühren und unseren Körper für den Genuss einsetzen.

Das Lernen beginnt bei wiederholten Berührungen, die dafür sorgen, dass der Körper nach und nach immer mehr Lust empfindet, das er so vorher gar nicht zu spüren gewöhnt war und geht weiter über Atemtechniken bis hin zu Beckenbodentraining. Das erfordert Neugier, Entdeckergeist und etwas Geduld. Und meine Beobachtung ist: Wenn sich auch nur eine Sache verändert, verändert sich in der Folge viel.

Ich schätze, dass wir mit dieser Auseinandersetzung mit dem eigenen körperlichen Empfinden 80, wenn nicht 90 Prozent dieser Art von Sinnlichkeit freischaufeln können. Viele bewegen sich bezüglich ihres körperlichen Lustpotenzials in einem viel zu engem Spektrum. Sie verpassen was.

Das ist aber nicht der einzige Mehrwert. Sexological Bodywork kann auch helfen, sich von erotischen Fantasien unabhängiger zu machen. Nichts gegen Sexfantasien – aber häufig sind diese Fantasien das erste Mittel, um sich Lust zu verschaffen. Dabei haben sie für das körperliche Lustgefühl oft keinen echten Mehrwert.

Der durchschnittliche Akt dauert zehn Minuten

Erotische Sexualität passiert im Kopf, die körperorientierte Sexualität ereignet sich in anderen Lustzentren. Das eine ist nicht besser als das andere, es sind einfach unterschiedliche Facetten der Sexualität – ganz geschlechterunabhängig. Aber da wir uns meistens nur mit dem fantastischen Teil beschäftigen, empfehle ich, mal ein wenig auf das Kopfkino zu verzichten. Wenn man mehr körperlich erlebt, verändern sich nämlich auch die Fantasien. Wie das bei der Frau vom Anfang der Fall war.

Mir ist es etwas unverständlich, warum wir Menschen beim Fahrradfahren, Schwimmen oder Tanzen es für ganz selbstverständlich halten: Je mehr man übt, desto besser kann man seinen Körper bewegen. Körperliches Sexuelles lernen dagegen scheint in unserer Kultur gar nicht da zu sein.

Wir sollten uns für die körperliche Sexualität also mehr Zeit nehmen. Der durchschnittliche Akt dauert laut Forschungen gerade mal 5,4 Minuten. Für unsere anderen Tätigkeiten nehmen wir uns ja schließlich auch viel Zeit – ohne darüber groß nachzudenken.

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