Die Bewohner des Samariterstifts müssen am Sonntag in der benachbarten Blosenbergkirche ihre Stimme abgeben. Doch die Räume sind nicht barrierefrei. Für viele ältere Menschen ist die dortige Treppe ein unüberwindbares Hindernis.

Leonberg - Horst K. ist einer „vom alten Schlag“, wie seine Tochter Susanne es nennt. „Er will ins Wahllokal gehen und dort seine Stimme abgeben“, sagt sie. So, wie er es jahrzehntelang zuvor getan hat. Wobei „gehen“ nur noch im übertragenen Sinne gilt. Denn seit der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hat sich einiges in seinem Leben verändert. Horst K. sitzt jetzt im Rollstuhl. Und er ist ins betreute Wohnen des Samariterstifts in Leonberg gezogen.

 

Deshalb steht er jetzt vor einem Problem: Das Wahllokal, in dem er nun seine Stimme abgeben soll, ist in der benachbarten Blosenbergkirche. Und die ist nicht barrierefrei zugänglich. Eine Treppe und eine sehr steile Rampe führen von der Schleiermacherstraße hinab zu den Kirchenräumen. „Da bekomme ich meinen Vater mit dem Rollstuhl nicht runter“, sagt Susanne K. Geschweige denn wieder herauf.

Ein Wahllokal direkt neben einem Altenpflegeheim mit betreutem Wohnen und ausgerechnet das ist nicht barrierefrei? „Wir sind da auf öffentliche Räume angewiesen“, erklärt die Stadtsprecherin Undine Binder-Farr. Je nach Baujahr seien diese nicht immer für Rollstühle oder Rollatoren zugänglich. In der Nähe gebe keine städtischen Gebäude, die barrierefrei seien, was die Stadt sehr bedaure.

„Das Problem ist nicht zu lösen“, meint die Pfarrerin der Blosenbergkirche, Carmen Stamer. Das Gebäude aus den 1960er Jahren werde auf Dauer nicht erhalten werden können, deshalb investiere man nicht in Umbauten. Damals sei eben an Dinge wie Barrierefreiheit nicht gedacht worden. „Das Problem taucht bei uns öfter auf, etwa bei Festen, Wahlen oder auch bei unserem 14-täglichen Altentreff, zu dem die Gäste vor allem aus dem Samariterstift kommen“, sagt Stamer. Für den Sonntag verspricht sie: „Wir werden versuchen, den Menschen so gut wie möglich zu helfen, damit sie sicher in das Wahllokal gelangen.“

Eine Alternative ist die Briefwahl. Etwa die Hälfte der Bewohner des Samariterstifts greift darauf zurück, berichtet die Leiterin Irmgard Vogel. „Ich möchte dem Oberbürgermeister vorschlagen, das Wahllokal in unserem Haus einzurichten. Das wäre für die Menschen hier schon günstig“, meint Vogel. Das würde auch Horst K. und seinen „Mitbewohnern“ gut gefallen.

Nach Angaben der Stadt Leonberg wird der Wahlraum wohl künftig in den Neubau des Elly-Heuss-Knapp-Kindergartens verlegt, sobald dieser fertig ist. Dieser wird direkt neben dem Samariterstift entstehen. Ob das für die Landtagswahlen im März 2016 schon reicht, ist noch unklar. Bei der nächsten Bundestagswahl in drei Jahren sollte es aber auf jeden Fall klappen.

Für Horst K. kommt eine Briefwahl jedenfalls nicht in Frage. Doch seine Tochter Susanne hat bereits einen Ausweg gefunden: Bei der Stadtverwaltung hat sie einen Wahlschein beantragt. Dieser berechtigt ihren Vater, in einem beliebigen anderen Lokal in der Stadt seine Stimme abzugeben. Die drei nächstgelegenen und vor allem barrierefreien Abstimmungsräume befinden sich im Neuen Rathaus am Belforter Platz, in der Feuerwache in der Römerstraße oder in der Spitalschule. Auch das Bürgerzentrum am Neuköllner Platz wäre noch eine Option. Dort gehen beispielsweise die Bewohner des Seniorenheims am Parksee wählen. „Wir sind sehr froh, dass wir dort die Möglichkeit eines barrierefreien Stimmlokals für die älteren Mitbürger haben“, sagt Stadtsprecherin Binder-Farr.

Das Thema Barrierefreiheit, nicht nur für behinderte, sondern gerade für ältere Menschen, steht auch in Leonberg immer mehr im Vordergrund. 22 Prozent der Bevölkerung sind laut statistischem Landesamt über 65 Jahre alt. Das sind etwa 9500 Menschen – Tendenz steigend. Damit liegt Leonberg über dem Schnitt des Kreises und des Bundeslandes (je 20 Prozent). Weitere 19 Prozent sind 50 bis 64 Jahre alt.

Hier ist barrierefreies Abstimmen möglich

Kernstadt:
Spitalschule, Feuerwache, Neues Rathaus, Gerhart-Hauptmann-Realschule, Berufliches Schulzentrum, Jahnturnhalle,

Eltingen
: Altes Rathaus, Ezach-Kindergarten, Bürgerzentrum Neue Stadtmitte

Ramtel
: August-Lämmle-Schule, Edith-Stein-Haus, Gerlinger Straße

Höfingen:
Grundschule Kindergarten Mammutzahn, katholischer Kindergarten St. Michael, Kurfißgebäude

Gebersheim:
Gäublickhalle

Warmbronn:
Rathaus, Kinderhaus, Rolf-Wagner-Halle.

Wahlschein
: Um seine Stimme in einem anderen Wahllokal abgeben zu können, muss ein Wahlschein beantragt werden. Dies geht jetzt nur noch persönlich beim jeweiligen Bürgeramt, in Leonberg im Alten Rathaus am Marktplatz. Für die Kommunalwahl kann in einem beliebigen Stimmlokal im Wahlbezirk Leonberg abgestimmt werden, für die Europawahl im gesamten Landkreis.