Klare Konturen kontra Tabuisierung

 

Der Verein geht im Fall des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs von Kindern in die Offensive – das hilft weiter. 

Ist der TSV Höfingen ein Einzelfall oder ist das Szenario auch in allen anderen Altkreisvereinen denkbar? Natürlich kann so etwas überall passieren. Sportvereine sind keine Inseln oder hängen im luftleeren Raum, sondern sie sind Teil unserer Gesellschaft. Und deshalb bleiben sie auch nicht von ihren negativen Auswüchsen verschont.

Der Grat zwischen einer erforderlichen Hilfestellung im Sport, wie sie im Turnen gang und gäbe ist, einem freundschaftlichen, aufmunternd gemeinten Klaps und dem sexuellen Übergriff ist schmal. Umso wichtiger ist es, dieses heikle Thema nicht zu tabuisieren.

Die Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendsport im TSV Höfingen vermag Ulrich Hoppe im Moment nicht abzuschätzen. Für seinen Vorstandskollegen vom TSV Eltingen, Michael Hager, ist klar, dass er den Fall in der Hauptausschusssitzung seines Vereins, die am Donnerstag stattfindet, thematisieren wird. „Das ist eine ganz schwierige Situation. Aber ich werde alle Beteiligten, die im Verein Verantwortung tragen, noch einmal sensibilisieren, um das Risiko für die uns anvertrauten Kinder so klein wie möglich zu halten.“

Reaktionen aus anderen Vereinen

Seit 2011 gibt es beim TSV Eltingen sogenannte Ethik-Grundsätze – auch beim TSV Höfingen existiert ein Kodex –, die für alle Übungsleiter des Vereins verbindlich gelten. In den Leitlinien zum Erreichen der Ziele ist dabei unter anderem aufgeführt: „Wir lehnen entschieden jeden Kontakt ab, der als sexuelle Belästigung empfunden werden kann.“ Und weiter: „Mit der beschriebenen Vorgehensweise wollen wir unsere Mitglieder schützen, da deren Wohl und ihre Zufriedenheit zu unseren obersten Zielen gehören.“ Eine Garantie kann natürlich auch dieses Papier nicht bieten. „Ich bin geschockt und mache mir Gedanken, ob man im eigenen Verein noch mehr tun kann“, sagt Michael Hager.

Mehr tun wollen sie bei den TSF Ditzingen. Vor vier Wochen wurde das Thema Ehrenkodex, den es bislang nicht gab, im Vorstand behandelt. Inzwischen liegt der erste Entwurf nach Rücksprache mit dem württembergischen Landessportbund vor. Außerdem wird der Verein von seinen Übungsleitern ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen. Der Vorsitzende Elmar Fries begründet die Vorgabe: „Man muss dabei auch den Schutz des Gesamtvereins sehen. Dieser Vorfall wird noch mehr Vereine zum Aufwachen bringen.“

Bei der SKV Rutesheim hat der Vorsitzende Volker Epple das Thema für das nächste Treffen mit seinen Vorstandskollegen auf die Tagesordnung gesetzt. „Es darf halt nicht passieren. Aber man steckt ja in keinem Menschen drin“, sagt der Vereinschef. Er hat sich die Ethikgrundsätze des TSV Eltingen zukommen lassen und überlegt, den eigenen Ehrenkodex des Vereins mit dem Passus zu sexuellen Übergriffen zu übernehmen.

Anlaufstellen

Thamar
Die Beratungsstelle in Böblingen hilft Kindern und Frauen bei der Beendigung und Bewältigung sexueller Gewalterfahrungen. Es werden auch eine Online-Beratung auf www.thamar.de und Sprechstunden in Leonberg angeboten. Telefon 0 70 31 / 22 20 66.

Andere
Das bundesweite Hilfetelefon vermittelt unter 08 000 / 11 60 16 Ansprechpartner. Hilfe vermitteln auch der Kinderschutzbund und Beratungsstellen von pro familia.

Kommentar

Klare Konturen kontra Tabuisierung

Der Verein geht im Fall des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs von Kindern in die Offensive – das hilft weiter. 

Ist der TSV Höfingen ein Einzelfall oder ist das Szenario auch in allen anderen Altkreisvereinen denkbar? Natürlich kann so etwas überall passieren. Sportvereine sind keine Inseln oder hängen im luftleeren Raum, sondern sie sind Teil unserer Gesellschaft. Und deshalb bleiben sie auch nicht von ihren negativen Auswüchsen verschont.

Der Grat zwischen einer erforderlichen Hilfestellung im Sport, wie sie im Turnen gang und gäbe ist, einem freundschaftlichen, aufmunternd gemeinten Klaps und dem sexuellen Übergriff ist schmal. Umso wichtiger ist es, dieses heikle Thema nicht zu tabuisieren.

Je klarer die Umrisse gezeichnet und weitergegeben werden, desto einfacher ist es auch für die Kinder, mögliche Übergriffe frühzeitig zu erkennen und benennen zu können. Ohne in Hysterie zu verfallen, muss das Motto lauten: Lieber einmal zu oft melden und einem Verdacht nachgehen als einmal zu wenig. Der gleiche Grundsatz gilt hierbei auch für die betroffenen Eltern.

Ob sich der Vorstand und/oder die Leitung der Tischtennis-Abteilung des TSV Höfingen Versäumnisse vorhalten lassen muss, mögliche Übergriffe übersehen oder nicht erkannt zu haben, kann zum jetzigen Stand der Ermittlungen nicht geklärt werden. Zumal der in Untersuchungshaft Genommene so lange als unschuldig gilt, so lange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.

Eine Schuldzuweisung gegenüber den Vereinsverantwortlichen würde aber auch nicht weiterhelfen. Viel eher die Entscheidung des Vorstandes, mit der Nachricht auf der eigenen Internetseite an die Öffentlichkeit zu gehen, alle Abteilungsleiter im Verein zu informieren. Weiteren Spekulationen, die den Gesamtverein TSV Höfingen und die in Leonberg ansässigen Sportvereine beschädigen könnten, ist damit zunächst ein Riegel vorgeschoben.