In ihrer letzten Sendung unternimmt die ARD-Moderatorin einen unvollständigen Streifzug durch die Weltkrisen. Vom Vize-Kanzler Robert Habeck gibt es warme Worte zum Abschied.

Es ist die letzte Sendung „Anne Will“ nach 16 Jahren, und die Moderatorin hat angekündigt, über „die Welt in Unordnung“ zu sprechen und die Frage, ob Deutschland den Herausforderungen gerecht werden könne. Allerdings bleibt Anne Will am Sonntagabend bei nur drei Krisen stecken – Ukraine, Nahost, Haushaltslücke in Deutschland –, die Klimakatastrophe oder China und sein Großmachtanspruch kommen gar nicht zur Sprache.

 

„Dankeschön für 16 Jahre Aufklärung – das war stilprägend“, lobte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Ende der Sendung die Moderatorin, und in der Tat klärte Anne Will auch jetzt wieder auf, beispielsweise, wie Aussagen des Ministers und promovierten Literaturwissenschaftlers Habeck in dieser Sendung gemeint sein könnten, etwa der Satz „Wir sind umzingelt von der Wirklichkeit“ (Thema Ukraine) oder „Wir haben die Wirklichkeit noch nicht voll reingeholt in unsere politische Diskussion“ (Thema Schuldenbremse).

Habeck ein paar Aussagen entlockt

Das Thema Haushaltsloch hatte Will ans Ende der Sendung gesetzt, aber hier punktete sie am meisten, da sie Habeck ein paar interessante Aussagen entlocken konnte. Der hatte erklärt, dass man die durch das Karlsruher Urteil fehlenden Milliarden „zu kompensieren“ versuche, es gehe da um eine große Summe und das gehe nur, wenn auch „Zumutungen“ ertragen werden. Also sparen, fragte Anne Will, was Habeck nicht verneinte, ohne allerdings zu sagen, wo das Sparen stattfinden soll: „Das werde ich heute Abend hier nicht tun.“

Was öffentlich jetzt von anderen Parteien gefordert werde –von der FDP beispielsweise Einsparungen im Sozialen oder bei der internationalen Finanzhilfe, von der SPD höhere Steuern – das werde garantiert nicht kommen. Aber es sei möglich, dass im Klimatransformationsfonds geplante Maßnahmen etwas später kommen oder „dass man einige gar nicht macht“, so der Vize-Kanzler.

Ein nebulöses Nein vom Minister

Auf die klare Frage von Anne Will an Habeck, ob er für ein Aussetzen der Schuldenbremse in 2024 sei, folgte ein nebulöses Nein: Zwar müsse man die Logik der Regeln für die Schuldenbremse an den Herausforderungen der Zeit messen – neue Kriege, unsicherer Kantonist USA –, es gebe jetzt neue Spielregeln. Aber es wäre auch gefährlich, in dieser Situation den sozialen Ausgleich, die gesellschaftliche Stabilität und die industrielle Robustheit von Deutschland durch Kürzungen zu gefährden. Also Aussetzen der Schuldenbremse? „Nein“, dies aus seinen Worten zu folgern, so Habeck, „wäre ein Kurzschluss“. Aber die Ampel sei „auf gutem Wege“, die finanzielle Lücke zu füllen.

Zum Auftakt der Talkrunde war es um die Ukraine und Nahost gegangen, und bei beiden Krisen hat sich Habeck eindeutig positioniert – erstens für die rückhaltlose Unterstützung Kiews, zweitens für die Solidarität mit Israel. Eröffnet wurde die Ukraine-Debatte mit der These des Schriftstellers Navid Kermani, dass trotz aller Wir-lassen-Euch-Nicht-Allein-Bekundungen der Nato-Länder, die Ukraine in einem länger währenden Krieg „verbluten“ könne. Das Zeitfenster schließe sich, so Kermani. Je länger der Konflikt dauere, desto schwächer werde die Unterstützung für die Ukraine ausfallen, man habe noch ein Jahr bis zu den Präsidentenwahlen in den USA und dort bröckele bei den Republikanern der Unterstützungswille für die Ukraine: „Wir müssen damit rechnen, dass sich alles ändert.“

Was die Ukraine jetzt an Waffenlieferungen erreiche, das sei nicht genug zum Leben und nicht genug zum Sterben. Andererseits schlug Kermani auch „diplomatische Anstrengungen“ vor, ohne das näher auszuführen. Auf jeden Fall müsse auch im Russland-Ukraine-Krieg eine größere politische Einigkeit in der EU hergestellt werden, Deutschland allein sei doch „irrelevant“, der deutsch-französische Motor funktioniere leider nicht mehr, und es sei ein großer Fehler von Deutschland gewesen, dass es auf die Europa-Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in 2019 nicht einmal geantwortet habe.

Deutschland soll nicht „bevormunden“

Auch Minister Habeck verlangte eine bessere EU-Einigkeit bei der Militärhilfe für die Ukraine und erklärte seine höchste Solidarität mit Kiew: Es wäre „ehrlos“, wenn Deutschland die versprochene Hilfe nicht weiter gewähre; falls die USA als Unterstützer ausfielen, müsse man sich darauf einstellen, „mehr zu tun“. „Wir können uns eine wohlige Naivität nicht leisten“, meinte der Grüne. Im übrigen könne Deutschland eine „diplomatische Beratung“ für die Ukraine anbieten, aber man dürfe sie nicht bevormunden. Ob sie weiterkämpfen wolle oder nicht und wie lange, das müsse sie selbst entscheiden.

Mehr als im Ukraine-Krieg stellten die Studiogäste beim Nahostkonflikt die Suche nach einer politischen Lösung in den Raum. Zweifel von Präsident Macron an den Kriegszielen Israels – Premier Netanjahu will die „endgültige Eliminierung“ der Hamas - oder die Forderung von US-Außenminister Antony Blinken nach einem besseren Schutz der Zivilisten im Gaza zeigten doch den Druck, unter dem Israel stehe, meinte Anne Will. Robert Habeck sagte hierzu, es sei unklar, wie Macrons Aussage gemeint sei: Dass nun von Israel hinzunehmen sei, dass seine Bürger „immer mal wieder hingemordet werden“, das sei inakzeptabel. Die Ansicht, die Welt müsse jetzt auf einen Frieden hinarbeiten, die sei hingegen richtig, wobei mit der Hamas sicher kein Frieden zu machen sei.

Direkte Gespräche sind am besten

Konsens herrschte im Studio darüber, dass eine Stabilität Israels nur erreicht werden kann, wenn auch die Palästinenser eine Perspektive erhalten. Bezweifelt worden ist aber allenthalben, ob in der aufgeheizten Stimmung jetzt überhaupt ein Gesprächsanfang möglich sein könne. Die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub immerhin erklärte, wer mit wem sprechen muss: Die Konfliktforschung habe gezeigt, dass direkte Gespräche zwischen denen, die einen Konflikt begonnen hätten und involviert seien, am zielführendsten seien. Das sei bei Frankreichs ehemaligem Präsidenten Charles De Gaulle im Algerienkrieg der Fall gewesen, aber auch bei der Friedensinitiative zwischen dem israelischen Premier Jitzchak Rabin und Palästinenserführer Jassir Arafat.

Gespräche „in den nächsten Wochen“ im aktuellen Konflikt hält Gaub zwar für ausgeschlossen, langfristig könne eine Zwei-Staatenlösung aber vielleicht zum Tragen kommen, denn die Erfahrung, dass die Abriegelung des Gazas nichts bringe und der Wille Israels, den Gazastreifen nicht erneut zu besetzen, deuteten schon daraufhin, dass die Palästinenser auch nach israelischer Sicht ihre Gebiete „selbst managen sollten“.

Muss sich der „Fleischwolf“ weiter drehen?

Der Historiker Raphael Gross sprach von zwei „schlechten Lösungen“. So könne man mit der Hamas verhandeln, was sie dann aber auch als Gesprächspartner aufwerte und rehabilitiere, oder – die andere Option - der „Fleischwolf“ drehe sich weiter. Gross bedauerte, dass in der jetzt von Empörung aufgeheizten Stimmung keiner die Distanz habe, laut über eine Lösung des Nahostkonflikts nachzudenken. Im Gespräch mit dem Historiker Gross ließ Anne Will übrigens ein einziges Mal in der Sendung eine globale Perspektive aufscheinen: Sie fragte, ob nicht Machtinteressen und Brutalität die Welt zunehmend bestimmten und der Westen mit seinen Werten allein dastehe. Raphael Gross entgegnete, dass man schon den Eindruck habe, dass rechtsstaatliche Institutionen, Menschenrechte und die Aufklärung weltweit unter Druck geraten seien. Aber er würde den Wertebegriff nicht geografisch einordnen, denn ein Demonstrant, der für die Menschenrechte in Schanghai auf die Straße gehe, stehe unseren Werten näher als ein Viktor Orban im EU-Mitglied Ungarn.

Dass die Demokratiewerte weltweit Anklang finden, ist also ermutigend. Aber Gross zeigte sich auch pessimistisch: „Die Gegenkräfte sind gewaltig.“ Das zeige das Wahlergebnis in Holland, wo die Rechtspopulisten von Geert Wilders stärkste politische Kraft wurden: „Die Situation ist massiv.“

So verabschiedet sich Anne Will

Es gebe es noch viel zu diskutieren, sagte Anne Will. Aber sie hört nach 500 Sendungen auf. Es sei ihr eine Freude und eine Ehre gewesen, diese Talkrunde zu leiten, und sie und das Publikum hätten ja „etliche Stunden“ miteinander verbracht. Für ihre Nachfolgerin Caren Miosga – ihr Sendestart wird der NDR nächste Woche verkünden – sprach Anne Will einen Wunsch aus: „Seid nett zu ihr!“