Handel, Wirtschaft, Einwohnerentwicklung: Laut einer GMA-Studie ist Ludwigsburg die attraktivste Mittelstadt Deutschlands – und könne auch im Wettbewerb mit Stuttgart bestehen, sagt der GMA-Chef Stefan Holl. Auch andere Städte aus der Region liegen im Ranking weit vorne.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Sindelfingen auf Platz 3, Waiblingen auf der 12, Esslingen auf Rang 16: Die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) hat die Attraktivität von 209 Städten mit weniger als 120 000 Einwohnern analysiert. In den Top-50 befinden sich zahlreiche Kommunen aus der Region. Ganz vorne steht: Ludwigsburg. Die Barockstadt habe in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht, sagt der GMA-Chef Stefan Holl. Und sei daher jetzt in der Lage, sich als Einzelhandelsstandort gegen einen Giganten wie Stuttgart zu behaupten.

 
Herr Holl, vor vier Jahren belegte Ludwigsburg in Ihrem Städteranking Platz fünf, jetzt liegt die Stadt gar auf Platz eins. Warum?
Zunächst spielt die Bevölkerungsentwicklung eine große Rolle. Der Großraum Stuttgart ist eine prosperierende Gegend, die Wohnbevölkerung hat deutlich zugenommen, die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen ist hoch, die Kaufkraft auch, die Arbeitslosigkeit niedrig. Das alles sind wichtige Faktoren.
Esslingen ist ähnlich groß, hat eine große Fußgängerzone, viel Handel. Trotzdem ist die Stadt nur auf Platz 16. Wie kommt das?
Esslingen war, nach der Landeshauptstadt, lange die zweitgrößte Stadt in der Region. Inzwischen ist Ludwigsburg vorbeigezogen. Was den Handel angeht: Das Einzugsgebiet von Ludwigsburg ist noch mal größer, dafür sorgen unter anderem Breuningerland und Ikea. Bei den Einzelhandelsmieten lagen Esslingen und Ludwigsburg lange gleichauf, aber in den vergangenen Jahren ist Ludwigsburg vorbeigezogen.
Sind hohe Mieten stets ein Zeichen von Attraktivität?
Hohe Mieten sind immer ein Indikator für Knappheit und hohe Nachfrage – und insofern auch für Attraktivität. Wobei man konstatieren muss, ohne das Ergebnis schmälern zu wollen: Wir leben hier auch in der Schweiz Deutschlands.
Wie meinen Sie das?
Bayern, Baden-Württemberg – da ist Wohlstand schon einmal grundsätzlich vorhanden. Auf dieser Basis lässt sich aufbauen, und dann wird es auch leichter, im Städteranking höhere Positionen zu erreichen.
Welchen Einfluss hat die Wiederbelebung des Marstall-Einkaufszentrums?
Es gibt jetzt wieder mehr Betriebe in der City, mehr Handel, das schlägt sich nieder. Das leer stehende Marstallcenter hatte das gesamte Umfeld geschwächt. So etwas wiederzubeleben – das haben nicht viele Städte hinbekommen.
Manche kritisieren den Einzelhandelsmix im Marstall. Dort finde sich letztlich der gleiche Einheitsbrei wie überall.
Das zu beurteilen, ist nicht mein Ansatz. Aber die Kritiker sollten sich vielleicht daran erinnern, wie es noch vor drei Jahren dort ausgesehen hat. Es war so düster, dass man sich kaum getraut hat, dort entlang zu laufen. Jetzt ist das Leben zurück, und das ist eine große Leistung.
An anderen Stellen ist seit der Marstall-Wiedereröffnung weniger los, etwa in Teilen der Fußgängerzone oder in der Wilhelmgalerie.
Anfangs führt so etwas immer zu Verwerfungen. Die Lauflagen ändern sich, Kunden orientieren sich um. Aber das löst wieder neue Investitionen aus. Handel ist nun einmal enorm wettbewerbsintensiv und immer einem starken Wandel unterworfen.
Trotzdem: das Breuningerland, die Wilhelmgalerie, das Marstall – ist das nicht ziemlich viel für eine Stadt dieser Größe? Verkraftet Ludwigsburg so viel Konkurrenz?
In den vergangenen Jahren ist Ludwigsburg um fast 10 000 Einwohner gewachsen. Wenn man das umrechnet, sind das mehr als 50 Millionen Euro mehr an Kaufkraft – pro Jahr. Also muss man sich doch überlegen, ob es sinnvoll ist, dass die Leute zum Einkaufen ins Gerber, Milaneo oder ins neue Dorotheen-Quartier nach Stuttgart fahren. Oder ob man nicht besser vor Ort ein attraktives Angebot schafft. Auch um unnötigen Verkehr zu vermeiden.
Wächst mit der zunehmenden Bedeutung der Einkaufszentren nicht die Gefahr, dass es in den Lagen abseits dieser Publikumsmagnete bergab geht?
Nein, das sehe ich nicht. Leerstand, Ein-Euro-Läden – das alles ist in Ludwigsburg bislang kein Thema. Ein Problem ist eher, dass abseits der Innenstadt manche Gebiete unterversorgt sind, dass Einkaufsmöglichkeiten fehlen, um sich mit Produkten für den täglichen Bedarf einzudecken. Oder auch gastronomische Angebote. Und der Handel muss damit zurechtkommen, dass sich das Einkaufsverhalten der Menschen insgesamt verändert.
Inwiefern?
Noch vor 15 Jahren trugen viele, die etwas auf sich hielten, eine Krawatte. Anzüge waren weit verbreitet. Es war kein Problem, ein Hemd für 200 Mark zu verkaufen. Schmuck war ein Statussymbol. Heute dominiert Freizeitkleidung, der Stil hat sich nivelliert, die Menschen geben für Kleidung weniger Geld aus.
Und wofür geben sie mehr Geld aus?
Ein Statussymbol ist heute das neueste Handy. Wir wissen aus vielen Studien, dass sich gerade bei jungen Leuten der Fokus verschiebt. Konsum in dem Sinn, dass man etwas erwirbt, wird weniger wichtig. Stattdessen gönnt man sich lieber etwas, geht gut essen. Die Menschen leben stärker situativ, erlebnisorientierter.
Ist das schlimm?
Es ist eine Herausforderung für den Handel, aber schlimm finde ich das nicht. Für die Innenstädte gibt es mehr Chancen, mit verschiedenen Angeboten Menschen zu locken, egal ob mit einem Handyladen, mit Sportartikeln oder Gastronomie. Für die Treffpunktfunktion, den sozialen Zweck einer Innenstadt ist es wichtig, dass Menschen da sind. Und wenn sie kommen, um Kaffee zu trinken, ist das auch gut.
Ob man durch Stuttgart, München oder Hamburg läuft: Fußgängerzonen sehen überall gleich aus und werden von Filialisten dominiert. Erreicht diese Entwicklung bald auch die Mittelstädte?
Ich finde, dass es in Ludwigsburg noch viele tolle eigenständige Unternehmen gibt. Die Hamburger Fischhalle, den Juwelier Hunke, Lotter, spezialisierte Sportanbieter, Chacha, viele gute Optiker, Naturzeit, um nur einige Beispiel zu nennen. Aber natürlich sind gute Standorte immer auch für Filialisten interessant. Angesichts des wettbewerbsintensiven Umfelds braucht der Einzelhandel die Unterstützung von Systemen für seinen Erfolg. Beispiele sind Einkaufsgenossenschaften oder Franchise-Systeme. Edeka etwa betreibt manche Läden in Eigenregie, andere werden von selbstständigen Kaufleuten betrieben und nur von Edeka beliefert. Solche Mischformen gibt es häufig.
Stuttgart rüstet auf, Ludwigsburg auch, und kleinere Kommunen klagen, dass sie auf der Strecke bleiben, weil Zentren veröden.
Ludwigsburg hat es gut hingekriegt und seinen Platz gefunden. Bietigheim-Bissingen auch. Oder Besigheim, das einen Wechsel vollzogen hat. In der Innenstadt dort gibt es jetzt viel Gastronomie, Fremdenverkehr, Atmosphäre. Aber in der Tat wird es für manche Kommunen schwieriger. Da muss man überlegen, ob das Leitbild der mitteleuropäischen Stadt mit Kirche, Handel, Verwaltung und Marktplatz im Ortskern noch passt.
Was wäre die Alternative?
Den Fokus auf die Grundversorgung legen, und zwar so wohnortnah wie möglich. Aber das muss jede Kommune für sich selbst entscheiden.
In Ludwigsburg wird viel über die Zukunft des riesigen Staatsarchivs geredet. Die Stadt will, dass die Akten verschwinden, um in zentraler Lage in der City noch mehr Platz für Handel und Gastronomie zu gewinnen.
Die Wilhelmgalerie mit der früheren Post war ein toter Fleck mitten in der Stadt. Erst durch den Umbau zum Einkaufszentrum wurde dieser Ort der Stadt und der Bevölkerung zurückgegeben, belebt. Mit dem Staatsarchiv ist es ähnlich. Allerdings sehe auch ich: Irgendwann kommt die Ausweitung des Handels an Grenzen. Ich würde hier nicht noch mal zu einem großen Schluck aus der Pulle raten und könnte mir auch andere Nutzungen vorstellen.
Welche?
Ludwigsburg hat ein Defizit im Bereich Museen und Ausstellungen. So etwas wie die Kunsthalle in Tübingen mit wechselnden Ausstellungen, eventorientiert, das halte ich für attraktiv. Gastronomie halte ich stellenweise für denkbar, auch Hotellerie. Selbst wenn das Staatsarchiv es schaffen würde, die Bestände der Öffentlichkeit stärker zugänglich zu machen, wäre das schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Karriere –
Stefan Holl, Jahrgang 1957, beendete sein Studium der Verwaltungswissenschaften sowie der Geografie, Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften im Jahr 1986 mit der Promotion. 1987 kam er zur GMA, seit 2004 ist er Geschäftsführer.

Unternehmen
– Die 1972 gegründete GMA ist ein Tochterunternehmen der W&W-Gruppe und nach eigenen Angaben Marktführerin für Handelsplanung im deutschsprachigen Raum. Die Gesellschaft ist unabhängig von Verbänden oder anderen Organisationen und berät den Bund, Länder und Kommunen. Der Sitz ist in Ludwigsburg, weitere Niederlassungen gibt es in Dresden, Hamburg, Köln und München.

Ranking –
2013 erstellte die GMA erstmals ein Städteranking, damals mit Kommunen von 50 000 bis 100 000 Einwohnern. Für die aktuelle Studie wurde der obere Wert auf 120 000 Einwohner angehoben, der untere auf 40 000 gesenkt. Die GMA analysiert für das Ranking Daten zur Einwohnerentwicklung, Kaufkraft, Arbeitslosigkeit, zu Einzelhandelsmieten, zum Umfang des Einzelhandels und zur Anzahl von Ein- und Auspendlern. Die Werte werden nach einem zuvor festgelegten Schlüssel gewichtet. Direkt hinter Ludwigsburg liegt Troisdorf bei Bonn, danach folgt Sindelfingen. Auch Waiblingen (Platz 12), Esslingen (16), Fellbach (27), Filderstadt (37), Bietigheim-Bissingen (38) und Böblingen (48) liegen in den Top-50.