Die Kommunen drückt der Schuh an vielen Stellen: Aggressionen gegen Politiker, Flüchtlinge, Schulden und überbordende Bürokratie. Im ZDF-Talk fühlen sich Lokalpolitiker allein gelassen.

Es war eine Tour d’Horizon durch alle lokalpolitischen Brandherde, die ZDF-Moderator Markus Lanz am Dienstag in seiner Talkrunde mit drei Bürgermeistern und einer Landrätin unternommen hat – und, um es vorwegzunehmen: So richtig zündete keines der angesprochenen Themen, am spannendsten waren da noch die Beispiele von überbordender Bürokratie, die auch Städte und Gemeinden beutelt. Da muss die Kleinstadt Zossen in Brandenburg beispielsweise wegen eines Kita-Neubaus ein Ausweichquartier für Fledermäuse bauen, ein Fledermaushaus für 180.000 Euro, es verzögerte die Kita um sechs Monate. Geht’s noch, fragt sich da der unbedarfte TV-Zuschauer, und Zossens Bürgermeisterin Wiebke Sahin-Schwarzweller (FDP) versichert immerhin: die Tiere hätten ihr Fledermaushaus gut angenommen und fühlten sich dort wohl.

 

Aber zu Bürokratieregeln später mehr, zunächst hakte Lanz das Thema Aggressionen gegen Lokalpolitiker ab, wie sie etwa jüngst im Wahlkampf in Dresden gegen grüne Plakatkleber dokumentiert worden sind. Auch in Zossen werden die politischen Debatte im Rathaus „angriffslustiger“, so Sahin-Schwarzweller, ein Vertreter des Ordnungsamtes sei nun bei den Sitzungen dabei, es sei auch schon die Polizei gerufen worden, um jemanden des Raumes zu verweisen. Die Bürgermeisterin hatte einmal Patronenhülsen in ihrem Briefkasten gefunden. Bei Markus Lanz machte sie aber nicht den Eindruck, sich schrecken zu lassen und von neuen direkten Drohungen gegen sie war auch nicht die Rede.

Der Fluch der einfachen Lösungen

Sie versuche die Politik zu erklären, so die FDP-Politikerin: „Wir Bürgermeister können nichts dafür, dass wir die Entscheidungen von Bund und Land umsetzen müssen.“ Die so gefällten Beschlüsse stießen oft „nicht auf Beliebtheit“. Beispielsweise, wenn die 22.000-Einwohner-Stadt nun bis zu 1.500 Flüchtlinge aufnehmen muss.

Aber diejenigen, die einfache Lösungen anböten, so Sahin-Schwarzweller, führten manche Gemeinde auch auf den Irrweg. So habe ein politisch „rechtsaußen“ stehendes Bürgerbündnis 16 Jahre lang Zossen regiert und so viele Fehlentscheidungen getroffen – beispielsweise für einen sehr niedrigen Gewerbesteuerhebesatz –, dass diese Altlasten gut vier Jahre nach ihrem Amtsantritt immer noch die Stadt drückten.

Schimpfen in der Bürgersprechstunde

Anfeindungen gegen ehrenamtliche tätige Politiker hätten so zugenommen, dass es nicht mehr so viele seien, die sich für diese Ämter interessierten, so die Landrätin des Landkreises Lüchow-Dannenberg, Dagmar Schulz (parteilos). Sie versuche in Bürgersprechstunden, die Menschen zu erreichen: „Manchmal schimpft da ein Bürger die ganze Zeit. Beim Gehen sagt er dann, er habe mal seine Worte loswerden müssen.“

Dagmar Schulz widersprach übrigens der Ansicht, dass die Flüchtlingsunterbringung das brennendste Problem der Städte und Dörfer sei. In ihrem schwach strukturierten Landkreis sei eine dezentrale Unterbringung möglich, eine einzige Massenunterkunft mit 150 Plätzen werde eingerichtet. Drängender seien die Schuldenlasten aller niedersächsischen Landkreise, auch bedingt durch die roten Zahlen der Krankenhäuser sowie der ÖPNV im ländlichen Raum. Es sei mit der Gleichheit der Lebensverhältnisse nicht vereinbar, wenn Bürger in abgelegenen Orten nur am morgen mit dem Schulbus in die nächste Stadt zum Arzt oder zum Laden fahren könnten und abends zurück.

Zum Thema Flüchtlinge kamen dann aber trotzdem übereinstimmende Wortmeldungen, etwa dahin gehend, dass man sie rasch arbeiten lassen müsse. „Die haben in unserer Erstaufnahmeeinrichtung eine Verweildauer von zwei Jahren. Bis sie da Qualifikationen erlangen, das dauert viel zu lange. Bitte gleich auf den Arbeitsmarkt!“, sagte Sahin-Schwarzweller. Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), gab der FDP-Frau darin Recht: „Viele wollen doch gleich arbeiten. Beim Arbeiten lernt man die Sprache und unsere Leitkultur.“ Auch die Landrätin Schulz berichtete, dass sie im Kreis Betriebsfahrten mit Flüchtlingen veranstaltet habe, die sehr gut angenommen worden seien. Im direkten Kontakt hätten die Arbeitgeber ermitteln können, wer gut zu ihnen passe und umgekehrt. Neu ist das Arbeitsthema allerdings nicht: „Wie lange erzählen wir uns das eigentlich schon?“ fragte Lanz in die Runde.

Jugendbanden am Bahnhof

Über einen Schwung von neuen Arbeitsplätzen – 3.000 direkt, 10.000 indirekt durch Ausstrahlungen ins bestehende Gewerbe – kann sich Oliver Schmidt-Gutzat (SPD), der Bürgermeister von Heide (Schleswig-Holstein) freuen. Der Konzern Northvolt will in Heide eine Batteriefabrik bauen. „Die haben Sie uns vor der Nase weggeschnappt“, bemerkte der Amtskollege Arnold aus Schwäbisch Gmünd. 140 Kommunen in ganz Europa hatten sich für die Investition beworben.

Als glücklichsten Bürgermeister der Republik kann sich Schmidt-Gutzat allerdings auch nicht bezeichnen. Ein handfestes Problem mit Jugendbanden am Bahnhof von Heide hatte seine Stadt monatelang in den Schlagzeilen gehalten, zuletzt im Februar. Es habe sechs Festnahmen gegeben, so der Bürgermeister, und vier Jugendliche seien immer noch in U-Haft, es geht um den Verdacht auf Raubüberfall und schwere Körperverletzung. Die Verdächtigen seien fast alle aus instabilen, familiären Verhältnissen, es seien je zur Hälfte Personen mit Migrationshintergrund und Deutsche. Dass auf Jugendgewalt die Strafe oft sehr spät erfolge, gelegentlich findet ein Prozess ein Jahr nach der Tat oder später statt, empfindet Schmidt-Gutzat als nicht hinnehmbar: „Das fällt für mich in den Bereich der gefühlten Straffreiheit.“ Mittlerweile hat die Stadt Heide für 300.000 Euro jährlich einen kommunalen Ordnungsdienst verpflichtet.

Keine Antwort von Olaf Scholz

Aber wie frei sind die Kommunen in ihrem Handeln, knebelt die Bürokratie sie nicht? Der Schwäbisch Gmünder Oberbürgermeister hatte im Oktober 2023 mit anderen Bürgermeistern einen Brandbrief in Sachen Bürokratie an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben – bis heute hat er keine Antwort. Arnold und anderen brachten in der Sendung etliche Beispiele für Bürokratiemonster: Dass man Badestege neuerdings mit einem Geländer ausstatten oder mit einem Bademeister bewachen müsse, dass der Kuchenverkauf an Schulen umsatzsteuerpflichtig sein soll, dass von Trinkwasserbrunnen täglich mindestens zwei Liter frischen Wassers entnommen werden müsse und dass es neue pingelige Bauvorschriften für den Altenheimneubau gibt, die die Plätze drastisch verteuern.

Der Brandschutz könne mitunter „zur Geißel der Menschheit“ werden, bemerkte Richard Arnold, man brauche Mut und Risiko, um da legale Auswege zu finden. Beim Bau eines Holzturms in seiner Stadt sei das gelungen, das Projekt drohte zu scheitern, mit einer Brandschutztür in der Mitte des Turms habe man eine Lösung gefunden. „Es gibt krasse Beispiele. Aber ich kann das Wort Entbürokratisierung auch nicht mehr hören“, meinte die Landrätin Schulz. Zumindest eine leise Erklärung für den Sinn von Regeln und Bürokratie hatte die Zossener Bürgermeisterin Sahin-Schwarzweller: die Vorschrift mit den Stegen solle verhindern, dass ein Kind ins Wasser fällt und ertrinkt. Sie hat alle Badestege von Zossen sperren lassen. Falls etwas passiert wäre, würde sie als Bürgermeisterin zur Verantwortung gezogen.